SWR1 Begegnungen

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10APR2022
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Sabine Müller-Langsdorf.

Annette Bassler trifft Pfarrerin Sabine Müller- Langsdorf, Friedenspfarrerin der EKHN

Teil 1: Frieden beginnt mit Ernüchterung

Sabine Müller-Langsdorf ist die Friedenspfarrerin der evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Und jetzt ist Krieg in Europa. Ich habe sie besucht, weil ich nicht nur tief betroffen bin, sondern auch verwirrt. „Frieden schaffen ohne Waffen“ - dieses christliche Motto hat mich zeitlebens geprägt. Aber die russischen Panzer in der Ukraine walzen auch meinen Glauben an diesen Frieden nieder. Die klare Haltung, die Sabine Müller- Langsdorf hat, tut mir gut.

Ich bin ernüchtert. Und ich bin auch bitter darum, dass funktionierende Errungenschaften von friedlichem Aushandeln von Konflikten, also durch Regelungen von Recht, durch Abrüstungsverhandlungen, durch Absprachen, die verlässlich waren- und auch die wurden ja erarbeitet, die hat es nicht immer schon gegeben- dass das um Jahre und Jahrzehnte zurückgeschmissen ist.

Frieden ist immer zerbrechlich. Im Politischen wie im Privaten. Dennoch ist mir wichtig zu verstehen, was da schief gelaufen ist all die Jahre?  Sabine Müller- Langsdorf sieht den Kern des Zerwürfnisses zwischen Ost und West in - ja mangelnder Aufrichtigkeit.

Es ist auch eine Geschichte der gebrochenen Versprechen, der nicht eingehaltenen Absprachen der unklaren Absprachen und irgendwann auch der Lüge. Und des einander etwas Vorgaukelns.

Der Krieg in der Ukraine lehrt mich, genauer hinzuschauen und das mit der Ehrlichkeit ernster nehmen. 100 Milliarden Euro für die Verteidigung Deutschlands- sie sind ein Symbol für die Zeitenwende, in der wir leben. Diplomatie allein genügt nicht. Es braucht auch eine glaubwürdige Abschreckung von Angriffslust. Mehr allerdings nicht.

Die ganzen kirchlichen Verlautbarungen richten sich darauf aus, für einen gerechten Frieden zu sorgen. Das ist das Fachwort dafür. Also zu suchen nach einem gerechten Frieden, in dem auch die Güter gerecht verteilt sind-

In dem Friede und Gerechtigkeit sich küssen, wie die Bibel das formuliert. Wenn du den Frieden willst, dann bereite ihn vor, heißt es in der evangelischen Friedensdenkschrift. Den Frieden in dir, den mit den Nächsten, den anderen Völkern, mit dem Klima. Und den Frieden mit Gott. Denn Frieden ist eine komplexe Sache.

Das Schöne am christlichen Glauben ist ja, dass Gott in den Frieden mit eingedacht wird, dass Gott uns Frieden schenkt und dass er uns in Jesus Christus auch gezeigt hat, wie Frieden gelingen kann. Und damit haben wir ein Stück Frieden in uns als Christinnen und Christen und aus diesem Frieden heraus zu leben, das kann uns ja auch sehr ermutigen für gerechten Frieden zu sorgen.

Wie das gelingen kann, davon erzählen die Geschichten rund um die Passion Jesu, die heute beginnt.

Teil 2: Willst du Frieden, bereit ihn jetzt vor

Frieden ist das Ergebnis von harter Arbeit. Und Friede ist ein Geschenk, er hat was mit Gottes Kraft und Nähe zu tun, meint Sabine Müller- Langsdorf. Die 59-Jährige ist Friedenspfarrerin der ev. Kirche in Hessen und Nassau. Das schönste Sinnbild für „Frieden“ ist für sie ein Gemälde von Picasso.

Es gibt dieses schöne Bild von Picasso mit dem Mädchen mit einer Taube in der Hand. Und das Mädchen hält diese Taube ja ganz zart. Und als könnte sie hinfallen und zerbrechen, wie Glas oder könnte davonfliegen. Und für mich ist an dem Bild so stark, dass das den Weg ausdrückt, der Frieden bringt.

Es ist also eine Illusion zu glauben, man könne den Frieden sichern in Mappen von Friedensabkommen und Verhandlungsergebnissen. Diese Illusion entlarvt sich selber täglich durch die schrecklichen Bilder aus der Ukraine. Derzeit dient Gewalt dazu, eine noch größere Gewalt zu stoppen. In der Hoffnung, dass die Waffen bald schweigen. Dann beginnt das, was eigentlich nie aufhören darf: den so zerbrechlichen Frieden wieder zum Leben zu erwecken. Denn Frieden, so Sabine Müller-Langsdorf-

-hängt viel mehr damit zusammen, auch im Gespräch miteinander zu bleiben, den Dialog nicht abbrechen zu lassen und in Verhandlungen klar aufzutreten und Schritt für Schritt kleine Formen der Abstimmung zuverlässig zu schaffen.

Und zwar ohne Erpressung und Gewalt. Das aber scheint den Menschen nicht auf den Leib geschneidert zu sein. Das ist ein Lernprozess, in den jeder Mensch etwas investieren muss.

Wir müssen investieren in Frieden und vor allem in zivile Mittel. Ich glaube, auch diese Klimafrage gehört dazu. Wenn ich die Fridays-for-Future-Bewegung ansehe, die gehen seit drei Jahren auf die Straße und sagen „kehrt um!“. Und das „kehrt um“ ist ja ein sehr biblisches Motto. Ja, also werdet bescheiden.

Bescheidenheit. Das heißt: seine eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer ausleben. Stattdessen mit den anderen aushandeln, wie wir miteinander gut leben können. Dazu gehört auch, miteinander ehrlich zu bleiben. Die Passionsgeschichte Jesu, die heute beginnt, ist voll von Geschichten, die davon handeln. Geschichten, die ich dieses Jahr sicher anders hören werde als sonst. Sabine Müller- Langsdorf möchte sie uns ans Herz legen.

Ich habe mir für die Karwoche vorgenommen, diese Geschichten nochmal zu lesen. Weil ich glaube: darin ist viel Verständnis für ganz unterschiedliche Empfindungen, von Angst, von wegducken, von hinschauen, von mitgehen, von Mitleiden auch nochmal der Blick auf die Gewalt und den Tod, die Massivität, die wirklich Gewalt auch bringt. …. diese Geschichten können, glaube ich, uns ja trösten und auch einen realistischen Blick vermitteln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35196
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