SWR2 Wort zum Tag

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07APR2022
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Wir Menschen sind trostbedürftige Wesen. Jedes Lebewesen wird, von klein auf, damit konfrontiert, dass im Leben nicht nur die Sonne scheint. Düstere Tage gehören zu jedem Leben dazu. Merkwürdig daher, dass uns Menschen das Trösten meistens so schwerfällt. Wir müssten es doch im Lauf der Menschheitsgeschichte gelernt haben! Doch wir sind über die Jahrtausende eher zu Meisterinnen und Meistern des Vertröstens als des Trostes geworden. Schon in der Antike gab es eine reichhaltige Ratgeberliteratur zum Thema. Die antiken Tipps ähneln dem, was heute auch gerne gesagt wird, wenn jemand traurig ist: Kopf hoch, wird schon, auf jeden Abend folgt ein neuer Morgen oder – diesen Ratschlag finde ich besonders schlimm: Es wird schon irgendein tieferer Sinn dahinterstecken. Schlimm, weil ich bei manchem Kummer nun wirklich nicht erkennen kann, welcher Sinn das sein sollte. Und selbst wenn bleiben die Traurigen trostbedürftig. Und zwar bedürftig nach echtem Trost.

Menschen spüren meist sehr genau, ob sie vertröstet werden sollen oder ob man sie in ihrer Not ernst nimmt. Das ist schon bei kleinen Kindern so. Meine Mutter hat immer gesagt: Ein Kinderkummer ist auch ein Kummer. Das gilt selbst dann, wenn die Erwachsenen das aus ihrer Perspektive ganz anders sehen. Bei Kummer, so fand meine Mutter, ist Trösten angesagt. Und das bedeutet: Ernst nehmen, in den Arm nehmen, das Leid gemeinsam aushalten, auch mal gemeinsam schweigen und weinen. Erst danach mag man den Blick in die Zukunft richten und überlegen, wie es denn weitergehen könnte. Ob man die kaputte Puppe eventuell reparieren kann. Oder wie es nach der vergeigten Mathearbeit weitergeht mit dem Lernen. Oder, bei Erwachsenen: was für Perspektiven es geben kann, wenn ein wichtiger Plan in die Brüche gegangen ist. Oder wenn ich Angst um geliebte Menschen habe.

Christen glauben an einen Gott, der selbst gelitten hat und trostbedürftig war. Die Passionszeit, in der wir gerade leben, erinnert jedes Jahr daran. Doch selbstverständlich ist die Botschaft nicht, dass Gott selbst verletzbar ist. Schon der Apostel Paulus hat konstatiert, dass das vielen Menschen lächerlich vorkommt oder ärgerlich aufstößt. Tatsächlich haben aber über Jahrtausende Menschen erlebt, dass sie gerade das getröstet hat. Sie haben sich in ihrer Traurigkeit nicht gottverlassen gefühlt, sondern im Gegenteil Gott ganz nahe. Mag sein, dass die Umgebung nicht trösten kann oder will, dieser Gott kennt das Leid. Und versteht die Leidenden. Daran erinnert das Kreuz, und deshalb ist sehr vielen Menschen dieses Symbol ganz wichtig. Jeder trostbedürftige Mensch hat es verdient, getröstet zu werden. Und ist in seinem und ihrem Leid Gott nicht fern, sondern besonders nah.

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