Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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02APR2022
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Das schlimmste ist: Man kann gar nichts tun! Das haben viele gesagt in den letzten Wochen, wenn wir über den Krieg in der Ukraine geredet haben. Aber auch sonst höre ich das oft: Das schlimmste ist das Gefühl, nichts tun zu können. Von älteren Menschen, die immer für andere da waren und deren Kräfte auf einmal nachlassen, oder von Menschen, die einem kranken Angehörigen einfach nicht helfen können. Hilflos zu sein, das ist schwer zu ertragen.

Deshalb hat es mich beeindruckt, von einer alten Frau zu hören, die bettlägerig und tatsächlich ganz auf Hilfe angewiesen war. Nachts hat sie oft keinen Schlaf gefunden. Trotzdem hat sie die Nachtstunden nicht sinnlos verstrichen verstreichen lassen. Wissen Sie, meinte sie zu einer Besucherin, es gibt so viele Menschen, für die ich beten möchte. Ich habe immer etwas zu tun.

Etwas tun – das hilft gegen das Gefühl, einer Krisensituation hilflos ausgeliefert zu sein. Die alte Dame hat einen Weg gefunden, tätig zu werden und mit ihren Gebeten für andere da zu sein. Sie hat nicht über ihre schwindenden Kräfte gegrübelt, sondern sich an das gehalten, was sie noch kann. Für mich ist sie ein Vorbild – auch wenn ich selbst das so vielleicht nicht könnte. Genauso wie die Frau, deren Mann schwer erkrankt ist. Ihm kann sie im Moment nicht helfen – aber sie engagiert sich in einer Selbsthilfegruppe für andere.

Die beiden Frauen zeigen: Selten ist man ganz hilflos. Auch wenn es nicht möglich ist, ein Problem wirklich zu lösen. Und auch wenn das, was man tun kann, oft jämmerlich wirkt angesichts des Elends. Als der Krieg in der Ukraine begonnen hat, haben unsere Kinder in der Schule Briefe geschrieben an die russische Botschaft und gebeten, den Krieg zu beenden. Und wir haben, wie viele andere, gespendet für Hilfsorganisationen, die versuchen, das Leid zu lindern.

Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ich glaube: Es ist nicht sinnlos. In der Bibel hat Jesus das Bild vom Senfkorn gebraucht. Es ist ein winziges Samenkorn, das man fast übersieht. Aber daraus wächst ein großer Strauch. So groß, dass Vögel darin ihre Nester bauen.

Ja, gegen manches Leid ist man hilflos und muss es aushalten. Aber gleichzeitig gibt es doch fast immer etwas zu tun. Und wenn es nur eine winzige Geste ist – oder ein Gebet: Es hilft, sich nicht ausgeliefert zu fühlen. Und vielleicht wird doch etwas Großes daraus.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35126
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