Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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01APR2022
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Oft habe ich als Seelsorger Familien von Soldaten und Soldatinnen begleitet. Wenn ein Familienmitglied in den Auslandseinsatz aufbricht, dann ist der Abschied ein besonders schwerer Moment. Die Gefühle sind schwer zu beschreiben: Die Ungewissheit, wie man sich wiedersehen wird, die Angst, dass etwas passieren könnte, die Aussicht, jetzt auf sich gestellt zu sein. All dies habe ich auch in den Augen meiner Lieben gesehen, als ich nach Afghanistan aufgebrochen bin, um die Soldaten zu begleiten. Da habe ich am eigenen Leib gespürt, was mir viele Soldaten und ihre Familien geschildert haben.

Von den vielen Bildern des Krieges in der Ukraine hat mich deswegen eines ganz besonders berührt: Familien bringen sich vor der zerstörerischen Gewalt in Sicherheit. Aber an der Grenze müssen sich die Männer von ihren Lieben verabschieden. Sie müssen bleiben, weil sie ihr Land verteidigen sollen.

Es berührt mich deswegen, weil es mich an meine Erfahrungen mit den Abschieden und der Angst erinnert. Wieviel schwerer muss es heute für die ukrainischen Familien sein? Sie müssen die Angst um ihre Männer aushalten, und außerdem haben sie noch ihre Heimat verloren.

Als ich die Soldaten-Familien begleitet habe, habe ich auch gelernt, was helfen kann gegen die Angst: Sich mit anderen zu treffen, die gleiches durchmachen oder schon hinter sich haben. Menschen zu finden, die sich wirklich Zeit nehmen, die zuhören, die die Angst oder die Verzweiflung aushalten, und die auch keine Angst vor Tränen haben. Menschen, die einen Tisch decken, um zusammen zu essen und zu trinken. Und ja: Auch gemeinsam feiern. Bei der Bundeswehr habe ich erlebt: Dort wo dieser Zusammenhalt entsteht, wird der Weg leichter.

Ich glaube, dass wir den Familien, die bei uns Schutz suchen, nicht nur Dach, Bett, Essen und Trinken, Schule, Arzt und Arbeit bieten können. Was sie auch brauchen ist unsere Zeit, ein offenes Ohr und Herz für die Angst und die wunde Sehnsucht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35113
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