SWR1 Begegnungen

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18APR2022
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Martin ist homosexuell und katholischer Priester. Wir sind befreundet und ich kenne ihn seit meiner Jugend. Er hat im Januar seine sexuelle Orientierung öffentlich gemacht. Bei der Aktion #out in church haben viele queere katholische Menschen eindrücklich klar gemacht, wie belastend es ist, Beruf- und Privatleben immer voneinander getrennt zu halten. Weil Teile der offiziellen Kirche immer noch Probleme mit homosexuellen oder queeren Menschen haben. Es interessiert mich, wie Martin in dieser Kirche Priester sein kann. Ich will als erstes von ihm wissen, wie es ihm mit seiner katholischen Kirche geht.

Das, was auf der oberen oder hohen Ebene passiert, ist für mich ausgesprochen anstrengend und belastend. Wenn ich erlebe wie Menschen mit Verantwortung offenbar so weit weg sind von dem, was in der Gemeinde passiert, dann ist das sehr anstrengend und nervig. Ärgerlich auch. Wenn ich mir ansehe, was vor Ort hier in Gemeinde passiert, bin ich guter Dinge.
Mich halten die Menschen die mit mir auf der Suche sind oder bereit sind, mit mir Neues zu entwickeln und Neues auszuprobieren und es bremsen mich die, die rückwärtsgewandt sind und scheinbar ohne einen Blick auf die Realität, an Altem festhalten.

Martin Beisler hat sich an der Aktion #out in church beteiligt. Warum?

Ich habe mich bei #out in church beteiligt, weil ich viele Menschen kenne, die zur queeren Community gehören. Bei denen ich sehr viel Ernsthaftigkeit im Umgang miteinander, Verantwortung im Umgang auch in einer Beziehung erlebe. Wo ich auch erlebe, dass viel Frage nach Kirche und Glauben ist und auf der anderen Seite hat die offizielle Kirche für solche Menschen wenig Platz oder gar keinen Platz.
Und die Verweigerung von Segen für Menschen, die nicht der Sexualmoral der katholischen Kirche entsprechend leben, hat bei mir dann einfach Ärger und völliges Unverständnis ausgelöst. Ich glaube auch nicht, dass irgendwem der Segen zu verweigern ist.
Es ist mir aber auch bewusst geworden, dass ich persönlich mich als Martin Beisler auch nochmal positionieren muss und kann, um selber meinen Platz in dieser Community und in Kirche auch nochmal deutlich zu machen.

Martin ist homosexuell. Wie geht er mit seiner sexuellen Orientierung um?

Ich trage meine Orientierung nicht vor mir her, weil ich denke, dass das eigentlich gar kein Thema ist, gar kein Thema sein sollte. Ich bin inzwischen soweit, dass ich dazu stehe, wenn ich gefragt werde. Und habe seit vielen Jahren hoffentlich nie irgendetwas gesagt in der Öffentlichkeit, wo ich selber nicht zu stehen kann oder was nicht ehrlich ist von mir selber.

Ich finde es klasse, dass Martin jetzt mutig zu sich steht. Denn ich bin sicher, dass es Gott völlig egal ist, ob ich Frauen oder Männer anziehend finde.
Viele Menschen haben sich bedankt, dass er ehrlich ist und jetzt mutig den Mund aufmacht. Für Martin Beisler war der Schritt richtig, auch ohne offizielle Reaktion des Arbeitgebers.

 

Ich war sehr froh, dass wir das gemacht haben, weil ich gespürt habe, dass es vielen Menschen gut getan hat, was wir gemacht haben. Ich war sehr bestätigt und sehr, sehr zufrieden eigentlich. Positiv aufgewühlt.

Würde er heute eigentlich wieder katholischer Priester werden?

Die Frage kann man schlecht beantworten. Als ich 1983 Abitur gemacht habe und ins Priesterseminar gegangen bin, waren Kirche und Welt und ich selber völlig anders als heute. Ich stelle heute durchaus mich und mein Leben in diesem Beruf auch in Frage.

Das Bild von einem katholischen Priester in einer Gemeinde hat sich komplett gewandelt. Martin hat das direkt erlebt. Früher war der Priester der, vor dem alle Respekt hatten. Und der von allen gekannt, angesprochen und eingeladen wurde - heute ist das nicht mehr so. Aber wie alles, hat auch das zwei Seiten.

Anonymität hat auch was für sich oder sich zurückziehen zu können. Aber Anonymität kann natürlich auch was mit Einsamkeit zu tun haben und dem konnte man früher vielleicht leichter entgehen als heute.
Das ist für mich persönlich durchaus ein Thema, das mich beschäftigt. Es gibt Zeiten, da bin ich heilfroh, wenn ich die Tür hinter mir zu machen kann und es gibt Zeiten, beispielsweise auch Freizeit, wo es schwierig ist.

Für Martin ist es schwierig, dass er keine eigene Familie haben kann.
Kirche muss sich ändern. Denn sie hat viel zu bieten. Diese sensationelle Botschaft, dass wir schlicht und ergreifend immer geliebt sind. Was müssen Verantwortliche in der Kirche tun, damit sich was ändert?

Ich befürchte, dass Verantwortungsträgerinnen und -träger -systembedingt- von dem, was im Alltag der Menschen stattfindet, kaum noch etwas mitkriegen. Und ich wünsche Ihnen auch, dass weder die Verantwortungsträgerinnen und -träger noch die Menschen in der queeren Community Berührungsängste haben, sondern mal offen und ehrlich miteinander reden.

Dass Martin sich bei #out in church beteiligt, hat für mich auch was Österliches. Die Aktion ist ein Aufbruch. Es ist endlich sichtbar geworden, wie viele Menschen an und in ihrer Kirche leiden - und trotzdem bleiben.
Deshalb will ich zum Schluss wissen, was für Martin Auferstehung bedeutet.

Ostern geht nicht ohne Karfreitag und vor allen Dingen nicht ohne den Karsamstag. Ich nehme ernst, dass es Leid und Schmerz und Tod gibt. Ich nehme ernst und ich möchte mir und anderen zugestehen, dass wir im Sinne des Karsamstags an Gräbern stehen. Ich glaube, Auferstehung oder Aufbruch zu neuem Leben kann nur sein, wenn es vorher auch etwas gibt, das gestorben ist und dass ich betrauere.

Das Leben ernst nehmen. Mit allem, was dazu gehört. Das ist unsere Aufgabe als Kirche. Deshalb feiern wir Ostern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen ein hoffnungs-frohes Osterfest!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35102
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