Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mein Freund Richard ist aus der Kirche ausgetreten. Irgendwann Mitte der 70ger Jahre muss das gewesen sein. Von 1968 an gehörte das in manchen Kreisen beinahe dazu und man musste sich beinahe dafür entschuldigen, dass man nicht aus der Kirche ausgetreten ist. Inzwischen sind Richards Kinder fast so alt wie er damals. Sie sind getauft und konfirmiert. Seiner Frau war das wichtig, die geht auch ab und zu in die Kirche. Manchmal ermahnt Richard sie und seine Kinder, wenn er findet, sie könnten sich ein bisschen mehr für und in ihrer Kirche engagieren. „Wenn schon Kirche, dann bitte mit ein bisschen Überzeugung“, sagt er. „Und wenn ihr schon evangelisch seid, dann muss man auch was vom Evangelium bei euch merken.“
Wenn er irgendwo in der Zeitung einen Artikel findet, der mit dem christlichen Glauben zu tun hat, dann bringt er ihn mir mit. Er hat ihn meistens gelesen und oft reden wir eine Weile darüber. Er sagt mir, was ihn beeindruckt hat und was er verkehrt findet – immer noch. Richard gehört nicht zu denen, die ausgetreten sind, weil sie die Kirchensteuer sparen wollten.
Ich muss zugeben, dass er mir imponiert, weil er so konsequent ist. Und weil er seine Entscheidung von damals, aus der Kirche auszutreten, immer mal wieder hinterfragt. Gilt das noch, was mich damals dazu gebracht hat? Bis jetzt sagt er jedesmal: nein, das ist nicht meine Sache. Ich finde vieles gut, was die Kirche für die Menschen tut. Ich habe großen Respekt vor aufrechten Christen. Aber für mich ist das nichts. Ich kann das nicht glauben. Mir imponiert auch, dass er seiner Famiie so selbstverständlich eine andere Entscheidung zugesteht. Ja, dass er sie sogar ermahnt, ein bisschen konsequenter zu sein und das auch ernst zu nehmen, dass sie in der Kirche sind. An Weihnachten sowieso, aber auch sonst immer mal wieder. Und manchmal hoffe ich, dass er es sich anders überlegt. Ich würde so gern ab und zu neben ihm im Gottesdienst sitzen und hinterher mit ihm darüber reden, was wir da erlebt haben. Und ich wünsche ihm, dass er auch erleben kann, was mir so gut tut: auf Gott zu vertrauen, der mich nicht im Stich lässt – ganz gleich, auf welche Um- und Abwege ich geraten bin. Mir hilft das, zuversichtlich zu leben. Wenn ich Richard frage, woran er sich hält, dann sagt er: kommt Zeit, kommt Rat.
Mein Freund Richard denkt immer mal wieder darüber nach, wie es ihm eigentlich geht mit seinem Nichtglauben. Wenn Sie auch irgendwann mal ausgetreten sind – wie ist das bei Ihnen? Wie denken sie heute über die Entscheidung von damals? Vielleicht nehmen Sie sich ja mal eine halbe Stunde Zeit, um darüber nachzudenken…
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3510
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