Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die 68ger sind an allem schuld. 40 Jahre nach den Protesten der Studenten gegen die Gesellschaftsordnung ihrer Eltern habe ich das in der Zeitung gelesen. Der Geburtenrückgang, die Disziplinschwierigkeiten an den Schulen, der mangelnde Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, mit einem Wort: der Verfall der Werte, mit denen man vorher doch angeblich gut gefahren ist – an all dem sind die 68ger schuld. Es tut immer gut, wenn man jemanden hat, dem man die Schuld geben kann. Aber genaue Untersuchungen zeigen : Von einem Werteverfall kann eigentlich keine Rede sein. Gewandelt hat sich allerdings, was den Menschen, vor allem den jungen Menschen wichtig ist.
Bei unseren Eltern und Großeltern war wichtig, dass man sich einfügt in die Gemeinschaft, dass man seine Pflicht tut und keine großen Ansprüche stellt. Dagegen haben die 68ger protestiert und ihre Eltern ein bisschen anmaßend gefragt: Was ist denn dabei herausgekommen, als ihr gehorsam wart und widerspruchslos den Führern gefolgt seid, die euch gesagt haben, wo es lang geht?
Deshalb haben sie angefangen, zu hinterfragen, was bei ihren Eltern galt. Nicht einfach hinnehmen, was andere einem sagen, sondern selbst nachdenken und urteilen und tun, was recht scheint. Mitbestimmen, wie das Leben organisiert wird – damit man am Ende auch verantworten kann, was geschieht.
Menschen sollen sich selber nach den eigenen Gaben und Möglichkeiten entfalten können. Jeder ist ein ganz eigenes, individuelles Bild Gottes, glauben wir Christen. Und jeder soll seine Möglichkeiten einbringen, damit alle gut zusammen leben können.
Diese Selbständigkeit und Verantwortung kann einem aber auch Angst machen. Was wird, wenn ich einen Fehler mache? Werde ich dann nicht ganz schnell ganz allein dastehen? Aus Angst vor der Verantwortung kommt oft gar keine Entscheidung zustande. Und das Leben bleibt irgendwie stehen.
Deshalb braucht, wer selbständig und verantwortlich leben will, Vertrauen in die Menschen um sich herum. Vertrauen, dass sie mich mit meinen Fehlern nicht allein lassen, sonden dass ich umkehren kann und es hoffentlich besser machen, wenn etwas schief gegangen ist. Um selbständig leben zu können, brauche ich auch das Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint und mich nicht im Stich lassen wird. Wenn ich mich darauf verlassen kann, dann kann ich getrost Verantwortung übernehmen und meinen Teil beitragen zum Zusammenleben in unserer einen Welt. Ich glaube, das haben die 68ger vergessen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3508
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