Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22MRZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Konflikte sind etwas Normales, ja etwas Gutes. Das war für mich nicht immer so. Als Kind wurde mir beigebracht: Konflikte sind schlecht. Ich habe mit meinen großen Brüdern gestritten. Meistens ging es um Dinge, die unter Geschwistern normal sind. Wer darf als Erster auf die Schaukel oder wer hat Recht? Wir mussten unsere Kräfte messen, es gab Krach. Unter uns Kindern war das oft hitzig und wir wurden auch mal handgreiflich. „Jeu de main, jeu de vilain!“, sagte dann mein Vater. Das ist ein französisches Sprichwort was so viel heißt wie: „Achtung, wenn Du handgreiflich wirst, wird das böse enden.“ Es wirkte wie ein Frühwarnsystem, um weitere Gewalt zu unterbinden. Der „Vilain“ war der Schurke, der den Streit begonnen hatte. Eine Ordnungsmacht musste eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

„Jeu de main, jeu de vilain!“ Das wirkt bei mir heute noch. Ich lehne jede Form der Gewalt ab, um Konflikte zu lösen, auch Gewalt in der Sprache und erst recht jede kriegerische Handlung. Im Laufe meines Lebens habe ich aber auch gelernt: Konflikte als solche sind nicht nur notwendig, sondern sie sind etwas Gutes. Ein Konflikt zeigt, dass wir noch nicht die bestmögliche Lösung gefunden haben. Verschiedene Bedürfnisse sind noch nicht ausreichend befriedigt. Die Bibel erzählt davon, dass Jesus den Konflikt oft ganz bewusst sucht. Er provoziert seine Gegner. Er heilt Kranke am arbeitsfreien Sabbat, verletzt geltende Regeln. Er brüskiert die Rechtschaffenen, weil er sich mit Sündern zusammentut. Jesus wirft sogar die Händler und Wechsler in heiligem Zorn aus dem Tempel-Bezirk in Jerusalem. Diese Szene wird oft herangezogen, um Christen zu widerlegen, die sich für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzen. Jesus selbst war doch nicht nur sanftmütig! heißt es dann. Aber erstens weist Jesus auf schlimme Zustände im Tempel hin: Das Gotteshaus soll nicht missbraucht werden, um Geschäfte zu machen. Und zweitens fällt auf: er beleidigt nie jemanden persönlich oder wertet Menschen in ihrer Person ab.

Ich habe mich viele Jahre beruflich mit gewaltfreier Kommunikation und der friedlichen Lösung von Konflikten beschäftigt. Manchmal finden wir in Diskussionen nur Kompromisse, alle Parteien fühlen sich dann als Verlierer. Wenn wir aber offen genug sind, muss keiner als Verlierer vom Platz, alle können gewinnen. Es ist wichtig, Lösungen zu finden, bei denen alle am Ende profitieren. Das kostet Zeit und braucht Geduld und auch den guten Willen der Beteiligten. Es ist eine Frage der Streitkultur. Für mich ist offensichtlich: Wer Macht und Gewalt missbraucht, nur um nur seine eigenen Interessen durchzusetzen, dem wird das nicht gelingen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35054
weiterlesen...