Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15MRZ2022
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In der irischen Hauptstadt Dublin kann man in einer Kathedrale die „Tür der Versöhnung“ besichtigen. Sie hat schon seit Jahrhunderten in der Mitte ein Loch, gerade groß genug, dass man mit einer Hand hindurchgreifen kann. Dieses Loch und ihren Namen „Tür der Versöhnung“ verdankt die Tür einer Begebenheit, die sich 1492 zugetragen hat. Zwei irische Adlige waren aneinander geraten. Es kam zu einer gewalttätigen Auseinan­dersetzung zwischen ihnen und ihren Gefolgsleuten. Einer der beiden Grafen hat sich mit einigen Getreuen in höchster Not in die Kathedrale gerettet. Sie haben sich in einen Nebenraum geflüchtet und sich hinter der Tür verschanzt. Raus konnten sie nicht mehr. Ihre bewaffneten Gegner haben die Tür belagert. Die drau­ßen haben irgendwann angeboten: „Kommt raus, dann reden wir.“ Die drin haben sich natürlich nicht getraut. Schließlich ließ der Graf, der außen stand, mit Streitäxten ein Loch in die Tür hauen. Durch das Loch haben sie miteinander gesprochen. Dann hat einer der beiden unglaublich viel riskiert: er hat seine Hand und seinen ganzen Arm durch das Loch gestreckt, dem Widersacher entgegen. Er war komplett wehrlos in dem Moment. Ich vermute, alle haben den Atem angehalten. Auf beiden Seiten der Tür.

Mir geht diese Geschichte nach. Jesus hat mal gesagt: „Selig sind, die Frieden stiften.“ Genau genommen hat er gesagt: Selig sind, die Frieden „tun“. Also nicht nur darüber reden, sondern selbst etwas tun. Aktiv werden. Und: dafür etwas riskieren. Die Geschichte von dem Loch in der Tür erzählt eindrücklich: Aufeinander zugehen kostet womöglich mehr Überwindung und mehr Mut als aufeinander losgehen.

Ich hoffe und wünsche, dass die Verantwortlichen dieser Welt genau diese Überwindung und diesen Mut aufbringen. Und auch für mich persönlich nehme ich diese Herausforderung mit: Rede nicht nur über Frieden. Tu was dafür!

Und was ist mit der Hand des Grafen an der Tür vor 500 Jahren geschehen? Der andere hat sie ergriffen. Der Friede hat am Ende gewonnen.

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