Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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12MRZ2022
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Er ist alt geworden: August. Seine Bewegungen sind langsam und er geht nur noch in kleinen Trippelschritten. Ich treffe ihn beim Metzger-Imbiss. „Wie heißt Du noch mal?“ ist sein erster Satz. Ich nenne meinen Namen und schon fällt ihm alles wieder ein. Was wir früher so zusammen gemacht haben. Ich als junger Theologe und er als gestandener Mann im Pfarrgemeinderat.

Seine Augen fangen an zu leuchten. Wir scherzen miteinander und machen kleine Rededuelle wie vor 20 Jahren. Damals war er ein rüstiger Jungrentner, ohne die in der Kirche ja nichts läuft. Ein Ehrenamtlicher der einfach anpackte, wo er gebraucht wurde. Jetzt ist er alt, kennt mich noch, aber mein Name fällt ihm nicht mehr ein, zumindest nicht direkt. Nun ja, er geht auf die Neunzig zu. „Ich mache jeden Tag meine Runde“, erzählt er mir. „Dreimal die Woche hole ich mir mein Essen beim Metzger und mache es zuhause warm. Denn richtig kochen habe ich nie gekonnt. Ich lasse noch das Wasser anbrennen“, meint er scherzhaft.  Fürs Kochen war immer seine Frau zuständig und die ist schon zehn Jahre tot. „Die restlichen Tage in der Woche gehe ich „raus essen“. Gott sei Dank, bin ich geimpft. Und sonntags geht’s dann zum Mittagessen zu meiner Tochter. Die wohnt aus der Stadt heraus, da nehme ich dann den Bus. Hauptsache jeden Tag mal raus und eine Runde machen.“

Die Begegnung mit August macht mich nachdenklich. Wo werde ich in 20 Jahren meine Runden machen? Und vor allem wie? Werden mich meine Beine noch tragen, werden meine Augen noch leuchten? Werde ich beim Metzger-Imbiss noch Leute treffen, die ich von früher kannte? Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob es viel Sinn macht, sich heute darüber Gedanken zu machen was in 20 Jahren ist. Aber für heute kann ich mal wieder zum Metzger-Imbiss gehen und schauen, ob August da ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34996
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