Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09MRZ2022
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Ich kenne die Frau nicht, die bei mir anruft, aber an das Gespräch werde ich sicherlich immer wieder denken.

Sie hat angerufen, weil ihr Vater gestorben ist. Er hat hier in Heidelberg gewohnt. Sie selbst ist schon vor langer Zeit wegen eines Jobs ins Ruhrgebiet gezogen. Nun ist sie allein. Denn außer ihr und ihrem Vater gibt es keine Familie mehr. Sie ist das einzige Kind, die Mutter ist schon ein paar Jahre tot und Tanten und Onkel gab es nie. Und jetzt hängt eben alles an ihr: Beerdigung organisieren, Wohnung ausräumen. Morgen möchte sie herfahren, um sich um alles zu kümmern.

Am Telefon frage ich sie: „Wenn Sie morgen herkommen: Kennen Sie noch jemanden hier? Ich stelle es mir gerade schwer vor, wenn Sie allein in der Wohnung ihres Vaters sind.“ Und da sagt sie das, an das ich seitdem immer wieder denken muss: „Ich habe gelernt, um Hilfe zu bitten.“

Und weiter sagt sie: „Einigen Freunden habe ich schon in den letzten Monaten gesagt: Wenn Papa stirbt, dann werde ich Eure Hilfe brauchen. Die meisten haben positiv reagiert. Das hat es mir leichter gemacht, jetzt um Hilfe zu bitten. Und so bin ich erst bei einem ehemaligen Schulfreund, und eine Bekannte geht mit zum Bestatter.“

 

Um Hilfe bitten: Manchmal kann ich das. Aber lieber habe ich alles selbst in der Hand. Es fällt mir nicht so leicht zu zeigen, dass ich manches nicht alleine hinbekomme. Dass ich auf Hilfe angewiesen bin. Und doch glaube ich, dass es gut ist, das zu lernen. Nicht nur fürs Alter oder für die ganz schweren Momente. Sondern auch so.

Denn zum einen weiß ich selbst, wie gut es sich anfühlt, wenn ich etwas für andere tun kann. Wenn ich mit dem, was ich kann, gebraucht werde. Zum anderen erinnert es mich daran, wie wichtig Beziehungen im Leben sind. Auch wenn die manchmal ganz schön anstrengend sein können, und ich sie auch pflegen muss. Aber gerade als Alleinlebende merke ich, wie ich auf sie angewiesen bin. Auf eine gute Freundin, meinen verständnisvollen Kollegen oder die Bekannte aus dem Chor - sie machen mein Leben interessant und abwechslungsreich. Und aufgehoben in solch einem Netz von Menschen, traue ich mich auch, mal den ein oder anderen um Hilfe zu bitten. Dann verteilt sich die Last auf viele Schultern. Und ich merke: niemand muss alles alleine schaffen.

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