Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07MRZ2022
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Vor einiger Zeit habe ich eine Ikone selbst gemacht. In einem Ikonenkurs habe ich Schritt für Schritt gelernt, wie das geht: Erst muss das Holz vorbereitet werden – das ist schon fast eine Wissenschaft für sich. Mit speziellem Leim wird ein Leintuch auf das Holz geklebt und dann braucht es Zeit und viele Schichten Schlämmkreide bis eine glatte weiße Fläche entstanden ist und die Grundlinien der Ikone mit einer Spitze eingraviert werden können.

Die Farben werden aus Pigmenten und einer Eigelb-Essig-Mischung angerührt. Doch bevor ich mit dem Pinsel auch nur einen Strich mache, kommt das Gold. Hauchfeines Blattgold, das ganz sorgfältig angelegt wird. Ein feierlicher Moment ist das und die Kursleiterin erklärt: „Das Gold ist das Göttliche. Das, was schon immer da ist und alles trägt. Das, was wir Menschen nie ganz erfassen können, wo wir uns nur schrittweise dran annähern können.“

Mir gefällt dieser Gedanke unglaublich gut. Das Gold als tragender Grund. Gott, der immer schon da ist.

Die kleine Ikone steht jetzt auf meinem Schreibtisch im Büro. Und immer, wenn ich sie anschaue, werde ich daran erinnert, dass Gott mit seinem Licht in die Welt hineinscheint. Jeden Tag neu. Auch an dunklen Tagen, oder wenn der Tag sich nur so dahinschleppt. Der Blick auf die Ikone ermutigt mich: schau genau hin. Auch wenn viel Dunkles da ist. Die goldenen, glänzenden Momente gibt es auch. Die, in denen ich ein Funkeln in den Augen habe, mein Herz ganz leicht ist. Momente, an die ich mich im Nachhinein gerne erinnere. So wie neulich, als ich bei einem Spaziergang für einen Moment das Gefühl hatte – es ist alles gut. Oder als mir ein Kollege, den ich sehr schätze, ein Kompliment für meine Arbeit gemacht hat. Und zwar eines, bei dem ich gemerkt habe, dass er das nicht einfach so dahingesagt hat, sondern wirklich aufmerksam hingeschaut hat.

Die Goldmomente freilegen – das habe ich mir dieses Jahr für die Fastenzeit vorgenommen. Ich möchte mich darin üben, mehr auf das zu schauen, was mir wertvoll ist. Auf das, was mich trägt und lebendig macht. Für mich sind das auch die Momente, in denen ich etwas von Gott spüren kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34963
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