SWR3 Gedanken

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22FEB2022
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Manchmal kann man echt den Glauben verlieren. Vielen Gästen unserer Vesperkirche geht das so. Ihr Leben eine Abfolge von Armut und Demütigungen, Krankheit und Gewalt und dem immer neuen Versuch irgendwie klar zu kommen.

Umso mehr beeindrucken mich diejenigen die sich in alledem einen geraden Blick bewahren, Witz, Mut und auch Wut. Wie der Mann, dem ich dieses Jahr wieder begegnet bin. Mit seinem freundlichen rosig runden Gesicht kommt er herein und nimmt Platz. Amüsiert erzählt er mir von seiner Unterhaltung mit einer Ehrenamtlichen. Sie kann ein paar Worte russisch. Er schimpft oft vor sich hin und sie hat das verstanden. Jetzt fängt er wieder an zu schimpfen.

Vor Jahren ist er nach Deutschland gekommen mit seiner Mutter aus Kasachstan. Er hat viel und schwer gearbeitet. Dann ist die Mutter krank geworden und er später auch. Er war in der Psychiatrie – und hat es gehasst. Wütend bricht es aus ihm hervor ‚die wollen dass du gefügig bist. Du sollst ruhig sein. Die quetschen erst deinen Verstand aus, dann deine Seele.

Da hab ich den Glauben verloren. Aber mich kriegen sie nicht klein.‘ Als er geht, dreht er sich um und ruft: ‚Gott segne sie!‘ ‚Sie glauben doch gar nicht an Gott‘, erwidere ich! ‚Hier schon!‘ sagt er, grinst und stromert mit seinem Rolli aus der Kirche.

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