Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16FEB2022
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„Unter jedem Dach ein Ach“, mit diesem Sprichwort hat eine Psychologin einmal ihre langjährigen Erfahrungen als Therapeutin zusammengefasst. „Unter jedem Dach ein Ach“, das soll heißen: In jedem Haus, in jeder Familie gibt es irgendetwas, was den Menschen dort zu schaffen macht. Irgendeine Sorge, die sie bewegt oder eine Last, die sie tragen.

Vielleicht eine schwere Krankheit, der Verlust eines lieben Menschen oder immer mehr auch seelische Belastungen, wie Depressionen, Ängste oder Abhängigkeiten.

Von all dem erzählt man anderen Menschen eher nichts. Das Ach bleibt unterm Dach. Und das ist ja auch verständlich. Man will sein Gegenüber nicht belästigen mit seinen Sorgen. Und man weiß ja auch nicht, ob das Ach beim anderen gut aufgehoben ist. Schließlich zeigt man eine Schwäche, wenn man über das redet, was einem zu schaffen macht. Viel lieber zeigen wir uns ja unsere Stärken.

Trotzdem, glaube ich, ist es gut, wenn man ab und zu das Dach lüftet und sein Ach zeigt. Nicht nur einer Therapeutin oder einem Seelsorger. Einem guten Freund vielleicht oder einer guten Freundin. Jemandem, zu dem man Vertrauen hat. Das kostet Mut, so ähnlich, wie wenn man eine Eisfläche betritt. Aber es hat auch etwas Wahrhaftiges und Befreiendes. Und wenn mein Gegenüber dann beginnt, auch von dem zu erzählen, was ihm zu schaffen macht, dann entsteht eine ganz besondere Nähe. Jedenfalls habe ich das schon so erlebt. Unser Ach verbindet uns Menschen auch.

Mein Ach kann mich auch Gott näher bringen. Meine Not kann ich auch Gott sagen. Wenn mir die eigenen Worte dafür fehlen, finde ich Worte in der Bibel, besonders in den Psalmen: „HERR, sei mir gnädig, denn ich bin schwach […] und meine Seele ist sehr erschrocken. Ach du, HERR, wie lange!“ (Psalm 6,3-4), betet da jemand. Wenn ich diese Worte spreche, dann spüre ich eine ganz besondere Nähe auch zu Gott. Und vielleicht erfahre ich dann auch, dass Gott mir hilft, mein Ach zu tragen. Indem ich besser annehmen kann, dass es zu meinen Leben dazu gehört. Oder indem mir bewusst wird, dass es auch viele gute Dinge neben dem Ach in meinem Leben gibt.

 „Unter jedem Dach ein Ach“ – ich denke, wenn ich mir das klar mache, dann sehe ich meine Mitmenschen mit anderen Augen. Ich fühle mich stärker mit ihnen verbunden und begegne ihnen auch anders: verständnisvoller und nachsichtiger, einfach gütiger, so wie Gott auch zu mir gütig ist.

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