Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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15FEB2022
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Es ist früh am Morgen Mitte Februar. Draußen ist es noch dunkel und kühl. Mit kaltem Wasser wasche ich mir mein Gesicht, ziehe mir meine Laufsachen an, trinke ein Glas Wasser und los geht’s.

Ich setze Schritt für Schritt. Die Müdigkeit steckt mir noch in den Knochen, aber die frische Luft und die langsamen Bewegungen helfen mir. Ich spüre, wie meine Atmung nach einer Weile gleichmäßiger und ruhiger wird. Mein Brustraum öffnet sich, Gedanken kommen und gehen, halten sich nicht. Ich höre auf Geräusche: auf Vogelgezwitscher, auf den Wind, der durch die Baumkronen streicht, auf ein entferntes Flugzeug und auf den in der Stadt nie aufhörenden Klangteppich von Automotoren im fernen Hintergrund.

Aber ich höre nicht nur nach außen, sondern auch nach innen: Wie fühlen sich meine Muskeln und meine Gelenke an? Ist meine Atmung regelmäßig? Was beschäftigt mich?
Beim Laufen nehme ich mich und mein Leben mit.

Als ich angefangen habe zu laufen, habe ich regelmäßig das Vater Unser gebetet, wenn ich müde war oder mein Kopf anfing, sich gegen das Weiterlaufen zu sperren. Inzwischen kann ich gar nicht mehr laufen ohne das Gebet. Es ist mein Zwiegespräch mit Gott, wenn ich beim Laufen ganz nah bei mir selbst bin. Ich fange an zu beten und höre auf zu denken. Es fließen die Worte in meine Bewegungen und umgekehrt. Ich werde achtsam und bin dankbar: Ich habe es geschafft aufzustehen und noch vor der Arbeit zu laufen. Ich habe mir damit eine kleine Auszeit vom Alltag geschenkt und ein wenig Zeit mit Gottes Wort.

Aber Laufen geht nicht immer. Mein Körper zeigt mir Grenzen auf. Ich werde älter und meine Gelenke müder. Mein Körper hat über die Jahre schon viel erlebt und erduldet. Er hat Narben und Schrullen abbekommen. Die gehen nicht einfach weg.

Laufen ist für mich ein Bild für das Leben. Beim Laufen bin ich manchmal glücklich, aber ich durchleide auch Durststrecken und Einbrüche. Ich suche nach meinem Rhythmus, nach meiner Richtung und nach ruhigem Atem. Ich mache Umwege und laufe in Sackgassen. Ich brauche vertraute Menschen und bekannte Orte, um mich orientieren zu können. Und wenn ich laufe, kann ich von Gottes Gegenwart überrascht werden.

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