SWR4 Abendgedanken

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17FEB2022
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Meine Tochter verkündet: „Ich will noch mehr Warzen auf der Nase haben!“. Es geht um ihre neue Hexenmaske. In meiner Familie haben wir alle so eine. Meine Tochter ist fünf Jahre alt und will jetzt auch ihr eigenes Kostüm, mit Maske. Und so sitzen wir am Basteltisch und bauen aus Drahtgestell und Pappmache ein kleines Hexengesicht.

Heute in einer Woche ist schmutziger Donnerstag. Und Fastnacht ist nicht nur bei uns in der Familie eine große Sache, sie hat auch einen festen Platz im kirchlichen Kalender. Denn sie kommt im Kirchenjahr vor der Fastenzeit. Schon im Mittelalter ist der Brauch entstanden, dass man es vor dem Verzicht nochmal so richtig krachen lässt.

Deshalb geht es an Fastnacht verrückt zu. Das hat auch meine Tochter verstanden, wenn sie als Hexe unterwegs sein will. Mit gruseliger Visage und bucklig durch die Straßen ziehen. Was sonst gar nicht so reinpasst, soll an Fastnacht erst recht sein. Und meine Tochter darf mal die Böse spielen und anderen einen kleinen Schreck einjagen. Das macht ihr riesigen Spaß.

Wir feiern an Fastnacht das pralle Leben: Fanfarenzüge ziehen durch die Straßen, man ernährt sich eine Woche lang von Süßkram und Bratwurst und die Menschen lachen und tanzen. Und auch das gehört zur christlichen Botschaft: Dass das Leben ein Geschenk ist und dass es oft schön ist. Dass man sich aneinander freuen darf und dass es einfach gut tut, miteinander zu feiern und beieinander zu sein. Und das gilt im dritten Jahr der Pandemie ganz besonders. Wieder gibt es wegen Corona nicht die gewohnte Straßenfastnacht und keine rauschenden Partys. Aber es ist großartig, wie kreativ die Narren sind und was sie sich alles einfallen lassen, damit trotzdem Stimmung aufkommt. Da werden Christbäume zu Narrenbäumen umfunktioniert und es gibt wieder närrische Videos im Internet. In meinem Ort bringt die Narrenzunft sogar Pakete mit Luftschlangen und Konfetti in die Kindergärten. Dann haben es die Kinder dort auch lustig und bunt.

Es kommt die Zeit, in der die Fastnacht wieder so gefeiert werden kann wie früher. Ganz bestimmt. Und bis dahin gibt’s Fastnacht im kleinen Kreis: in der Familie, in der Schulklasse oder mit den Nachbarn im Garten. Meine Tochter jedenfalls freut sich über jede einzelne Warze auf ihrem Hexengesicht. Recht hat sie. Denn das Leben lässt sich auch im Kleinen feiern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34826
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