Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10FEB2022
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Claudio Abbado war einer der besten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Chef an der Wiener Staatsoper und bei den Berliner Philharmonikern. Von ihm stammt der folgende Gedanke: "Viele Menschen lernen, wie man spricht, aber sie lernen nicht, wie man zuhört. Einander zuhören ist eine wichtige Sache im Leben. Und Musik sagt uns, wie das geht".

Ich habe selbst viele Jahre in einem Chor gesungen und kann nur bestätigen, was er sagt. Das Hören ist enorm wichtig, wenn man mit anderen musiziert. Das Wahrnehmen ist wichtiger als das, was man von sich gibt. Ich muss genau zuhören, was die anderen tun. Wie schnell sie sind und in welcher Lautstärke sie den Ton von sich geben, wie ihre Stimme gefärbt ist. Erst dann weiß ich, was ich tun muss, damit daraus ein homogener und schöner Klang wird. Und alles geht blitzschnell, weil die Musik ja nicht stillsteht, sondern immer in Bewegung ist. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen. Nur dass eben das Empfangen wichtiger ist, wenn’s schön werden soll.

Claudio Abbado sagt zurecht: Was fürs Musizieren gilt, ist fürs Leben überhaupt wichtig. Wir sprechen viel, sind über weite Strecken des Tages damit beschäftigt zu kommunizieren. Bedingt durch die technischen Möglichkeiten wird es immer noch mehr und geht schneller. Wir kriegen Eilmeldungen aufs Handy und können auch abends im Bett noch einen Kommentar in den unkontrollierbaren Raum des weltweiten Netzes absetzen. Wer will, kann zu allem seine Meinung abgeben, auch wenn man sein Gegenüber gar nicht kennt.

Leider merkt man etlichen Debatten an, dass sie so geführt werden. Anonym, ohne mit anderen dabei echt in Kontakt gekommen zu sein. Etwas aufschnappen und dann den eigenen Senf dazu geben: Kommunikation im echten Sinn ist das keine. Dazu fehlt es am Zuhören, an der Bereitschaft, mich tief in den anderen einzufühlen. Und darunter leidet nicht nur der Stil, sondern es führt auch zu keiner Verständigung. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wir müssen das Hören trainieren, uns bewusst machen, wie wichtig es ist und dann die entsprechende innere Haltung einnehmen. In der Sprache des Alten Testament der Bibel steht für Hören: „jemandem sein Ohr zuneigen“. Genau das ist’s, was wir brauchen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34808
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