Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04FEB2022
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Ein dicker schwarzer Samtvorhang schließt sich hinter mir, dann noch einer – schließlich stehe ich in völliger Dunkelheit. Ich höre deutlich Menschen reden und lachen, Schritte und Gläserklappern, aber ich sehe absolut gar nichts.

An meinen Besuch beim Kulturabend im Dunkeln erinnere ich mich lebhaft, obwohl er jetzt schon eine ganze Weile zurückliegt. Einen Abend lang ohne den Sehsinn auszukommen, ist ein beeindruckendes Erlebnis.

In vielen Städten gibt es inzwischen fest etablierte Restaurants, in denen man im Dunklen speist. Wirklich im Dunkeln - ohne das geringste bisschen Restlicht. Den Service übernehmen blinde oder sehbehinderte Menschen. Sie bewegen sich entspannt, wo Sehende erst einmal ziemlich hilflos sind.

Natürlich habe ich mir vor dem Abend Gedanken darüber gemacht, was auf mich zukommt. Wie ich meinen Platz finde, und ob ich nicht aus Versehen mein Glas umwerfe, wenn ich nichts sehe. Was mich dann aber am meisten verunsichert hat, waren andere Dinge – zum Beispiel, ein Gespräch zu führen. Mit Menschen zu reden, die man nicht sieht, ist gar nicht einfach. Ich weiß nicht, ob der andere mir überhaupt zuhört oder mit etwas ganz anderem beschäftigt ist. Ich kann nicht am Gesicht ablesen, ob das, was ich sage, ihn interessiert oder langweilt, ob er einverstanden ist oder nicht. Ich muss irgendwie darauf vertrauen, dass das, was ich sage, ankommt.

Überhaupt die Sache mit dem Vertrauen: Der Sehsinn, habe ich gemerkt, dient in hohem Maße der Kontrolle. Wenn ich nichts sehe, muss ich mich auf andere verlassen: Dass sie mich sicher zu meinem Platz bringen, dass sie mir zuhören, dass sie beim Bezahlen nicht zu viel Geld aus meinem Geldbeutel nehmen. Habe ich da Zweifel, fühle ich mich unwohl. Kann ich dagegen den anderen vertrauen, kann ich mich entspannen – und auch im Dunkeln einen schönen Abend verbringen.

Jesus hat einmal gesagt: Wer mir folgt, irrt nicht mehr in der Finsternis umher, sondern wird das Licht des Lebens haben. Während ich im Dunkeln saß, hat mir das neu eingeleuchtet: Bei Jesus geht es auch um Vertrauen. Er hat Menschen ermutigt, Gott zu vertrauen, ihren Mitmenschen und auch sich selbst. Gerade wenn ich im Dunkeln die Orientierung verliere, ist Vertrauen ist wie ein Licht, das mir Sicherheit gibt.

Dieser Abend im Dunklen hat mich das spüren lassen: Vertrauen ist das A und O. Wenn ich Vertrauen habe, kann es finster um mich rum sein. Das Licht kommt dann woanders her. Und ich fühle mich wohl.

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