SWR1 Begegnungen

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30JAN2022
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Arnim Töpel

Wolf-Dieter Steinmann trifft Arnim Töpel. Musikalischer Kabarettist und Autor von kurpfälzischen Krimis. Sein 8. Fall führt in die Schattierungen und Schatten des Evangelischseins, der Liebe und der Sprache.

 

Wie rede ich, wie liebe ich, was glaube ich?

Ich mag lebenserfahrene Krimis. Weil sie mehr erzählen, als bloß ‚wer war es‘? Ein guter Autor erzählt, wie Menschen in Abgründe geraten. Wie das Leben sich verwickelt, aus Liebe oder auch aus Glaubensgründen. Arnim Töpel ist erschrocken über den Abgrund, in den sein kurpfälzischer Kommissar Günda blickt.

Wenn man sich vorstellt, dass vor 450 Jahren in Heidelberg, in einer Geistesmetropole, ein bedeutender Theologe in der Kurpfalz hingerichtet wird. Vorwurf: ‚Ketzerei, Gotteslästerung‘.

Der Fall ist passiert. 1572 wurde Johannes Sylvanus, Pfarrer, Bibelwissenschaftler, vor der Heiliggeistkirche enthauptet. Weil er die Dreieinigkeit Gottes geleugnet habe. Seine beiden kleinen Söhne mussten zusehen. -- Erstaunlich: Kaum jemand weiß davon.

Ich habe tatsächlich einen Tipp bekommen. Und in dem Fall war das ein ehemaliger Kirchenrat, Manfred Kuhn: ‚Johannes Sylvanus, das könnte doch was für Sie sein. Mir war das völlig fremd, ich kannte diese Geschichte überhaupt nicht. (geflüstert: ‚ich auch nicht‘) Das ist auch das Interessante an der Sache.

Arnim Töpel hat sich reinziehen lassen. „Voll fagnoddelt“ heißt das Ergebnis. Mit seinem Kommissar Günda, entdeckt er auch viel übers Evangelischsein. Dass es viele Schattierungen hat. Auch seine Tante macht Günda das deutlich.

Die wiederum ist total evangelisch, er auch, ich auch. Und die stößt auf einen kritischen Punkt: Seine Zukünftige ist zwar auch evangelisch, aber vunn de annere Sort: ludderisch.

Nicht reformiert oder uniert oder wie man noch evangelisch sein kann.

Hochspannend, weil man sich schon fragen muss: Woher kommt mein Glaube? Habe ich das gelernt, habe ich das erfahren? Johannes Sylvanus wird wegen seines Glaubens, oder wegen seines Zweifelns verurteilt. Etwas, was mich für ihn sehr einnimmt, weil ich Evangelischsein immer so empfunden habe: ‚Ich darf zweifeln.‘

Kommissar Günda ist nicht nur evangelisch. Er ist auch verliebt. Frisch in Rente, fagnoddelt sich sein Leben. Wird neu. Arnim Töpel glaubt nicht, dass wir ganz loslassen können, was uns prägt.

Aber es gibt immer die Chance, das Glück zu finden, und das kann man eben nicht planen. Und das fand ich eine sehr reizvolle Idee, diesen Einzelgänger, diesen notorischen Einzelgänger, auf einen anderen Weg zu bringen.

Noch was finde ich prima an seinem Günda. Er redet Dialekt. Hochdeutsch und kurpfälzisch stehen nebeneinander. Auf einer Stufe. Auch nicht selbstverständlich.

Weil man ja Dialekt verbindet mit Schlichtheit im Gemüt. Und das möchte ich auch mit dieser Figur unbedingt widerlegen. Er hat dieses Intellektuelle, aber er ist in der Lage, auf eine Art zu formulieren, dass sie verträglich ist, manchmal witzig ist, aber näher an die Leute kommt.

 Evangelisch und Dialekt – offene Heimaten

Arnim Töpel schreibt zweisprachig. Hochdeutsch und Kurpfälzisch ganz nah beieinander. Muttersprache und Heimatsprache. Auch im jüngsten Buch von seinem Kommissar Günda, auch wenn es um Liebe geht. Da fragt Inga ihren Günda: ‚Was willst Du eigentlich von mir?‘ Und er: ‚Guggemamol.‘ Wie klingt das für Sie? Nach Ausflucht? Nach Versprechen?

Da schwingt so viel mit in diesem „guggemamol“. Das kann man hochdeutsch nicht sagen. Er sucht keinen Ausweg, sondern es ist eine ganz ehrliche Äußerung, sie wiederum hat durch ihr Elternhaus Erfahrungen mit dem Kurpfälzischen, dh. ihr ist es auch nicht völlig fremd. Insofern darf er das so sagen und kann sie es eben auch verstehen.

 „Voll fagnoddelt“, heißt Kommissar Günda 8. Fall. Hochdeutsch etwa „total verwickelt“. Wie das Leben oder die Liebe sein können. Manchmal auch der Glaube. Es schreckt Arnim Töpel, wenn Glaube zum Machtinstrument wird.

Das sind Dinge, wo ich ihn dann eben auch denken und sagen lasse – und da ist er nicht fern von mir: Was hat das denn mit denn mit den Gläubigen zu tun? Ist das nicht eine akademische Diskussion, die auch oft genutzt wird – damals vor allem eben – um Macht auszuüben, andere rauszudrängen?

Evangelisch ist für ihn anders: Es hat viele Schattierungen, und doch darüber ein großes Dach, unter dem man glauben kann. Persönlich, verschieden, mal fest, mal wackeliger. Selbstkritisch, mitleidend, suchend und einander helfend. Man glaubt und diskutiert mit anderen. Könnte das nicht Modell für Religionen überhaupt sein?

Es gibt eben auch beim Glauben, ähnlich wie bei der Liebe, Ungewissheiten. Ich kann nicht genau sagen, was glaube ich morgen, wie liebe ich morgen. Das sind Versprechen, vielleicht Hoffnungen. Da ist der Glaube sehr nahe bei der Liebe.

Arnim Töpel freut sich darauf, dass er 450 Jahre nach dem Ketzerfall von Johannes Sylvanus in diesem Jahr literarische Gottesdienste gestalten kann. Zusammen mit dem Pfarrer, der ihn auf den Fall Sylvanus gebracht hat.

Also für mich das ist eine Fügung, weil, alles was ich mache - auf der Bühne – hat begonnen bei der Evangelischen Jugend. Und insofern fand ich das toll, dass da jemand kommt mit einer Geschichte, die mich fasziniert, die mich an die Wurzeln bringt und auch an meine Grenzen.

Ist das nicht gut? Glaube kann mitgehen durch Höhen und Tiefen. Meiner hat sich gewandelt beim Älterwerden. Aber mit Blick auf Jesus und in die Bibel. Ich finde Arnim Töpel hat recht: Es ist wichtig, immer wieder offen zu suchen. Aber:

Gleichwohl darf es nicht ins Beliebige. Für mich ist dann auch die Grenze da, wo die Kirche nur noch ein Sozialverein ist. Ich kann mich an Schuljahresabschlussgottesdienste erinnern, wo ich nicht wusste, wer ist denn hier der Pfarrer, was passiert hier eigentlich?
Das ist ja wiederum die Schwierigkeit gegenüber anderen Religionen von uns Evangelischen, dass wir so offen sind, dass wir immer auch mit einem ‚aber’ operieren dürfen. Das ist dann schwierig, wiederum die Grenze zu ziehen, welches Minimum an Glauben muss ich denn haben. Das finde ich alles unglaublich interessant.

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Wenn Sie Kurpfälzisch irgendwie „im Ohr haben“, lesen Sie das Buch unbedingt laut.Wenn nicht, greifen Sie sich jemand aus der Kurpfalz und lassen Sie sich vorlesen. Am besten Arnim Töpel selber:
in Apple Podcasts unter „Kommissar Günda – voll fagnoddelt“
oder unter iTunes

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34747
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