SWR1 Begegnungen

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23JAN2022
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Beatrix Schubert Foto: Eckhard Raabe

… und mit einer Frau, die sich so vorstellt, wenn sie zur Tür hereinkommt:

Mein Name ist Beatrix Schubert, ich bin Seelsorgerin an der Frauenklinik hier und ich biete Ihnen an Sie zu besuchen, wenn Sie das gerne möchten.   

Und es passiert nur äußerst selten, dass die Klinikseelsorgerin aus einem Patientinnenzimmer in der Tübinger Frauenklinik wieder hinausgeschickt wird.

Ich komme auch nicht sofort mit dem Vater unser auf den Lippen

Sondern ganz ohne Absicht.

Ich guck erst mal, was ist denn hier los überhaupt, ich frage erst mal und ich höre erst mal. Manchmal nicht auf das, was ich an Worten höre, sondern was ich dazwischen wahrnehme an Botschaft oder auch an Gefühlen. Wenn ich sehe, dass jemand sehr bewegt ist oder erschrocken ist.

Und auf diese Gefühlslage trifft die katholische Theologin oft. Fast täglich. Weil in der Frauenklinik Patientinnen behandelt werden, die den Grenzen des Lebens begegnen: Frauen, die eine Krebsdiagnose erhalten haben. Oder Mütter, deren Kinder krank auf die Welt kommen oder gar nicht leben. Da spielt es keine Rolle, ob jemand an Gott glaubt oder nicht. Da öffnet sich eine Tür zu einer Wirklichkeit jenseits der Wirklichkeit, so formuliert es Beatrix Schubert.

In meinen Geschichten, die ich so begleite, ist das wie ein Refrain, diese Begegnung mit dem jenseits dessen, was wir fassen können.

Sie erlebt täglich Situationen, die ich mir kaum vorzustellen vermag. Wenn Kinder sterben – da fällt doch jede Mutter in ein dunkles und tiefes Loch. Kann da eine Klinikseelsorgerin überhaupt Trost spenden?

Der Trost. In dem vordergründigen Sinne gibt es keinen Trost. Und das bleibt auch glaub ich so. Man kann damit leben lernen, dass man das erleben musste. Aber die Wunde wird bleiben, die wird im besten Fall eben gut verheilen. Ein Kind zu verlieren ist glaube ich eines vom Schlimmsten, was ein Mensch überhaupt erleben kann.

Aber es gibt Trittsteine, die beim Leben lernen helfen, sagt Beatrix Schubert. Die legt die 62-Jährige in solchen Momenten. Mehr noch: Sie ist selbst so ein Stein.  

Das fängt damit an, dass da jemand ist, der vor dieser Situation nicht zurückscheut, jemand in Anführungszeichen Normales. Da ist jemand, der weicht uns jetzt nicht aus. Die bleibt dabei, hat mir eine Mutter mal gesagt. Unfassbar. Sie sind dageblieben!

Und die Klinikseelsorgerin ist sich sicher, dass das nicht nur sie kann: Dabeibleiben, eben nicht weglaufen.

Dieser Flucht-Impuls, wenn etwas Schlimmes ist, den hat auch die Freundin der Brustkrebspatientin oder der Mann oder die Kinder. Jeder will bloß weg hier. Ich glaub wir können da viel mehr als wir uns oft zutrauen. Dieses Dabeibleiben und nicht davonlaufen, das können wir alle. Dabeibleiben kann auch heißen, ich sag meiner Freundin: „Du, wenn Du aus dem Krankenhaus kommst, sag mir einfach einen Tag vorher Bescheid. Ich liefer Euch eine heiße Suppe an dem Tag, Du musst nicht kochen.“

Beatrix Schubert ist Klinikseelsorgerin in der Tübinger Frauenklinik. Sie kümmert sich vor allem um Patientinnen und deren Angehörige. Zu ihrem Auftrag gehört aber auch, das medizinische Personal zu begleiten. Das kann sich auch mal ganz spontan ergeben, während sie Rufbereitschaft hat. Dann ist sie auch in anderen Kliniken in Tübingen im Einsatz.

Sie erzählt mir von einer solchen Situation. Sie war mit im Zimmer, an der Seite eines Arztes, als ein Corona-Patient im Sterben lag:

Ich habe den Sterbesegen gespendet, ich habe die Familie noch begleitet, ich bin noch eine Weile dageblieben, weil die richtig kaputt waren, fertig waren, nach 45 Tagen Intensivstation ihres Mannes bzw. Vaters. Und dann war aber da dieser Arzt …

… der einfach froh war, dass Beatrix Schubert mit dabei war. Der nochmals kurz ein paar Worte mit ihr reden wollte. Warum ist das wichtig, dass sie da ist? Was macht den Unterschied?

Ich glaube tatsächlich, dieses gemeinsame Tragen von diesen Sachen, die wir da erleben, dass es da noch welche gibt, die das auch mittragen und nicht woanders sind und Feierabend haben. Dieses gemeinsame auch sich da reintrauen, in diese hochbrisante Situation, das gemeinsame wir halten aus, einen Menschen so sterben zu sehen.

Für sie ist diese Begleitung nicht einseitig, ganz im Gegenteil. Auch die erfahrene Klinikseelsorgerin braucht das.

Das ist auch für mich so, wenn ich mich manchmal frage, was lässt mich denn noch hoffen, hier in diesem Wahnsinn. Ein ganz großer Teil davon ist: Wir tragen das zusammen.

Hoffnung. Ohne die wäre es wohl ganz schön schwer, inmitten von Schicksalen, Leid und Schmerzen. Ist das denn der Schatz, mit dem die Seelsorgerin von Tür zu Tür geht, die Hoffnung?

Ja, das ist ziemlich gut. Wobei schon auch in unserer Klinikrealität der Faktor Zeit eine Rolle spielt. Der Arzt hat seine Listen mit Terminen, da kommen Patientinnen. Und ich bin an der Stelle natürlich freier.

Beatrix Schubert nutzt diese Zeit und sie nimmt sie sich. Vor allem für jene Frauen, die gerade den Boden unter den Füßen verloren haben. Seit 18 Jahren ist sie an deren Seite. Das beeindruckt mich. Was gibt ihr die Kraft dazu, möchte ich am Ende wissen?

Die Liebe! Das hört sich jetzt unglaublich kitschig an. Aber ich nehme so viel Liebe wahr. In den Geschichten, die die Menschen mir erzählen, in dem, wie Paare solche schwierigen Sachen wie mit einem toten Kind bestehen, wie die das miteinander tragen. Das ist die Liebe, die da spricht. Und ich glaub, da spricht Gott. Ganz einfach. Und das immer wieder zu sehen. Für mich ist das toll, das trägt mich. Jeder Tag neu, jede Geschichte anders. Und immer wieder dieses Wunder.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34746
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