Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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24JAN2022
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Ich bin katholischer Priester. Ich habe in meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu tun. Mit Ministranten in der Sakristei; in der Schule mit Fünfzehn-, Sechzehnjährigen; auf Zeltlagern mit Pfadfindern. Ich habe gern mit jungen Menschen zu tun. Sie richten große Fragen an mich - was gut ist und was böse und wie sie dabei den richtigen Weg für ihr Leben finden. Ich bin eine Autorität für sie. Und sie sorgen umgekehrt dafür, dass ich in meinem Denken lebendig und jung bleibe.

Ich bin katholischer Priester und gehöre damit zu einer Gruppe, die jungen Menschen in unvorstellbar großer Zahl Schaden zugefügt hat. Seit Jahrzehnten, bis heute. Am letzten Donnerstag ist ein neues Gutachten veröffentlicht worden. Diesmal im Zuständigkeitsbereich des Erzbischofs von München. Auf 1.900 Seiten steht, was passiert ist: dass Priester sich an Kindern vergriffen haben; wer weggeschaut hat, als Jugendliche missbraucht worden sind, sexuell zu Handlungen gezwungen wurden, die ich mir nicht vorstellen will. Auch ein ehemaliger Papst kommt im Münchener Gutachten vor. Er will von nichts gewusst haben. Das beteuert er auf achtzig Seiten, die eigens dokumentiert sind. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Es liegt deshalb nahe, dass er nicht die Wahrheit sagt. Und damit den Opfern noch einmal Gewalt antut. Der derzeitige Erzbischof von München bekundet erneut wortreich seine Betroffenheit. Aber zur Vorstellung des Gutachtens ist er nicht erschienen.

Ich bin katholischer Priester. Ich will für das einstehen, wie Jesus von Nazareth gedacht und gelebt hat. Darüber spreche ich so oft wie möglich hier im Radio: dass er die beschützt hat, die schwächer waren als andere, kleiner, ärmer. Dass von echter Liebe geprägt war, wie er mit anderen umgegangen ist. Dass er eben nie seine Macht gegenüber denen missbraucht hätte, die ihm vertraut haben. Inzwischen frage ich mich immer öfter, wie ich noch von einem gütigen und liebenden Gott sprechen soll, wo in meiner Kirche dieser Glaube mit Füßen getreten wird. Ich schäme mich in Grund und Boden, dass offenbar keiner der Oberen in meiner Kirche bereit ist, persönlich Verantwortung zu übernehmen.

Ich will weiterhin für das stehen, wofür ich als Priester angetreten bin. Die Wahrheit zu sagen, wo ich sie verstehe. Und liebevoll umzugehen mit anderen. Dafür steht der christliche Glaube. Und den braucht unsere Welt - und junge Menschen ganz besonders. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34744
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