Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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26JAN2022
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Jesus hat mich angeschaut und ich ihn.

Nein, ich habe keine Vision gehabt. Unterwegs gewesen bin ich mit meinem Hund. Mein Weg hat mich zu einem Naturdenkmal in der Nähe von Furtwangen geführt, das den Namen „Balzer Herrgott“ trägt. Der Name kommt daher, weil dieser Platz früher ein Balzplatz der Auerhähne gewesen ist.

Heute steht dort es eine riesige Buche. An ihren Stamm wurde vor 120 Jahren eine steinerne Jesusfigur gehängt.

Sie ist das Kreuz von einem Hof gewesen. 1844 ist dieser Hof von einer Lawine zerstört worden. Dabei ist das Kreuz heruntergefallen. Junge Männer haben die Jesusfigur beim Wandern dort gefunden und mitgenommen. Am Fuß dieser damals noch jungen Buche haben sie sie abgelegt.

Um das Jahr 1900 haben andere die Jesusfigur an den Baum gehängt. So hat sie jeder sehen können, der vorbeigekommen ist.

Mit der Zeit ist der Baum gewachsen, ist dicker geworden und hat angefangen, die Jesusfigur langsam aber sicher zu umwachsen. Heute wäre von ihr gar nichts mehr zu sehen, wenn nicht ein Holzschnitzer aus der Gegend sich immer wieder um dieses Denkmal kümmern würde. Öfter schon hat er den Kopf Jesu freigeschnitten. Er hat der Figur wieder Luft verschafft.

Das muss ich auch regelmäßig, mir wieder Luft verschaffen. Da tut eine kleine Wanderung im Wald gut. Hinterher kann ich wieder freier atmen und manches auch wieder klarer sehen.

Wie schnell stellt sich das Gefühl ein, von der täglichen Terminflut erdrückt zu werden, der Eindruck, dass mir manches im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf wächst. Da braucht es neue Luft. Und vielleicht auch den Mut, den ein oder anderen Termin zu streichen, den Kalender eben freizuschneiden. So freue ich mich an jedem Abend, wenn ich die erledigten Aufgaben wegstreichen kann.

Jesus hat mich angeschaut und ich denke: Auch mein Glaube braucht Luft. Ich will nicht das Gefühl haben, jeden Tag ein bestimmtes religiöses Pensum leisten zu müssen. Schließlich soll mein Glaube mir doch viel mehr Freude und Kraft und Mut geben.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ So schreibt es der Apostel Paulus in einem seiner Briefe. (Galater 5,1) Damit wir nicht ersticken im Alltag und uns immer wieder Freiräume schaffen für unseren Glauben. Daran mahnt mich der Baum. Und so kann ich gelöst in den Tag gehen und aufatmen.

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