SWR2 Wort zum Tag

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26JAN2022
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Irgendwie wird das nichts mit der Selbstbestimmung im Moment. Gerade ist schon wieder mein Urlaub ausgefallen. Eigentlich wollte ich für ein paar Tage nach Rom fahren. Aber dann haben eben doch wieder die aktuellen Fallzahlen entschieden. Das war zumindest mein Eindruck Anfang Januar. Zur guten Laune beigetragen hat es nicht, mich so fremdbestimmt und passiv zu fühlen.

Was mir in der Situation geholfen hat, war ein Gedanke von Martin Seel. Selbstbestimmt zu handeln heißt für ihn nicht einfach zu tun, was man gerne will oder sich selbst möglichst viele Wünsche zu erfüllen. Er versteht unter Selbstbestimmung die „Fähigkeit, in Antwort auf gegebene (…) Bedingungen, den Kurs des eigenen Handelns (…) zu bestimmen“.

Also das mit dem Antworten, das gefällt mir. Denn es ist ja von vornherein ein Trugschluss, dass ich meine Entscheidungen unabhängig von anderen Menschen, von der politischen Lage oder der pandemischen Situation treffen könnte. Um wirklich selbstbestimmt zu handeln, muss ich mich von der Welt, wie sie ist, ansprechen lassen. Ich muss sie wahrnehmen, mich auch irritieren lassen. Ich muss mir eingestehen: Ja, das Virus ärgert und verunsichert mich und die Einschränkungen nerven. Trotzdem bin ich dadurch nicht einfach nur fremdbestimmt: Ich kann ja selbst entscheiden, wie ich mit der Situation umgehe. Ich hätte ja nach Rom fliegen können und mich um die Inzidenzen nicht weiter scheren und auch nicht um die Konsequenzen für mich und mein Umfeld. Die Reise abzusagen war meine Entscheidung, meine gut überlegte Antwort auf die konkrete Situation.

Ich habe den Eindruck im Moment wird einfach offensichtlicher als sonst, dass das, was wir oft unter Autonomie verstehen, uns Menschen nicht ganz angemessen ist. „No man is an island“ heißt es. Keiner ist für sich allein. Selbstbestimmt handeln kann ich trotzdem – indem ich meine Antwort finde.

In Antwort auf gegebene Bedingungen den Kurs des eigenen Handelns bestimmen. Für mich klingt das nach einem realistischen Freiheitsbegriff. Er beinhaltet, dass wir abhängig von anderen sind – und trotzdem frei, unsere eigenen Antworten zu geben.

Auch der Gedanke, dass es um den Kurs des eigenen Handelns geht, leuchtet mir ein: Nicht alles, was ich tue, ist selbstbestimmt – aber die Richtung, die schon. Ich jedenfalls habe direkt nach der Stornierung gleich den nächsten Urlaub geplant.

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