Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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01FEB2022
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Wenn ich mich in ein Tier verwandeln könnte, welches wäre ich dann? Das haben wir uns manchmal früher vorgestellt, Lieblingstiere gemalt oder gespielt. Tiger oder Adler, Pferd oder Delfin - wir wollten Eigenschaften wie Stärke oder Schönheit, Schlauheit oder Größe haben, was wir im wirklichen Leben nicht immer so vorzuweisen haben. Als ich neulich das Buch der sehr kranken Autorin Elizabeth Bailey mit dem Titel „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ las, da war mir auf einmal glasklar vor Augen: Vergiss Löwe oder Elefant – warum nicht eine Schnecke?

Die Autorin hat in quälenden Monaten der Isolation und der schweren Einschränkungen genau das gemacht, sie hat eine Schnecke beobachtet.

 Sie hat gestaunt und schaute sich manches ab von diesem unscheinbaren Tier. So sind Schnecken viel intelligenter, als es scheint. Ihre Schnecke ist immer für eine Überraschung gut. Die Autorin beobachtet und lernt Dinge, die sie im Leben nie für möglich gehalten hätte.  Oder hätten Sie gedacht, dass Schnecken sogar ganze Ozeane überqueren können? Der supereffektive klebrige Schleim oder die Eigenschaft, zwar langsam, aber beharrlich Kilometer um Kilometer vorwärtszukommen. Das gewundene Schneckenhaus nicht als Last zu sehen, denn wie genial ist es, ein Haus immer mit sich zu tragen? Schnecken, so las ich hier, haben ein besonderes Liebesspiel, können prima Verstecke finden und überlisten viele Gesetze der Physik. Wie zäh ist eine Schnecke in aller Langsamkeit und wie trotzt sie allen Widrigkeiten - genial! Das nehme ich von diesem Buch mit: Die Schöpfung hat manches Wunder bereit. Manchmal in den unscheinbarsten Wesen, und manchmal lässt sich nur in eigenen Krisen entdecken, was die Natur uns lehrt.

Zum Beispiel in Form einer Schnecke mit ihrer Einladung zur Entschleunigung. Das Buch einer schwer kranken Frau über ein kleines Tier hilft mir, die Hoffnung nicht aufzugeben, und selber beharrlicher zu werden. Ich schaue jetzt anders auf jede Schnecke. Größer, schneller, besser - das ist dann nicht mehr das Ziel. Sondern beharrlich und tiefer. Mit Hoffnung und Gottvertrauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34711
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