SWR2 Wort zum Tag

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28JAN2022
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Wie schmeckt die Welt? Meine kleine Enkelin ist gerade dabei, das herauszufinden. Ich finde es faszinierend, sie dabei zu beobachten. Sie greift nach den Gegenständen, die ihr ins Auge fallen und steckt sie dann mit Bedacht, regelrecht sorgfältig, in den Mund oder leckt sie ab. Unermüdlich ist sie dabei, mit ihren Geschmacksknospen die Welt zu entdecken. Einmal ist das Objekt ihrer Neugierde mein Unterarm gewesen. Was sie wohl in ihrem kleinen Hirn als Ergebnis gespeichert hat? Meine Omi schmeckt leicht salzig?

Unsere Sprache weiß um die Relevanz des Schmeckens. Man bekommt Geschmack an einer Sache oder einer Tätigkeit, man kostet eine Begegnung oder einen Augenblick aus. Wenn jemand Stilgefühl besitzt, dann ist sein Heim geschmackvoll eingerichtet. Sogar an Gott kann man Geschmack finden: Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist – so lautet klassisch die Einladung zum Abendmahl. Auch wenn der tatsächliche Geschmack einer Hostie aus kulinarischer Perspektive sicher nicht überwältigend ist – mir und Milliarden von Menschen bedeutet das Abendmahl trotzdem sehr viel. Weil sich Geschmack auch mit Erfahrung verbindet und ausbildet, in diesem Fall durch die sinnliche, mit Geschmacksknospen erlebbare Gemeinschaft mit anderen Menschen und mit Gott. Es war für mich und für viele andere daher ein schwerer Verlust, dass in der ersten Phase der Corona-Krise kein Abendmahl gefeiert werden konnte. Tatsächlich habe ich dann zum ersten Mal in meinem Leben ein digitales Abendmahl mitgefeiert. Das hat letztlich funktioniert, weil sich die Erfahrung analoger Gemeinschaft im Leibgedächtnis abgespeichert hat und so die Kachelgesichter ein leibhaftiges, vertrautes gemeinschaftliches Gefühl erzeugen konnten – auch wenn jede und jeder nur zu Hause am Küchentisch mit einem Stück Brot und einem Glas Wein saß.

Zurück zu meiner Enkelin: Sie kostet mit ihrer Zunge aus, wie die Welt schmeckt – und sie macht die Erfahrung, dass die Erwachsenen sie daran hindern, nun tatsächlich alles in den Mund zu nehmen. Waschpulver und Hundefutter gehören nicht in die kleine Schnute. Umgekehrt entdeckt sie viel durch das, was ihre Eltern ihr anbieten und was sie vielleicht nicht von sich aus probiert hätte: Ein Stück Karotte, einen Apfel. Ich war dabei, als sie zum ersten Mal eine Himbeere gekostet hat. Dieses Minenspiel, von Neugierde, leichter Skepsis bis hin zur letztlichen Begeisterung war sehenswert.

Ob sie auch einmal Geschmack am christlichen Glauben gewinnen wird? Das wird auch an den Erfahrungen liegen, die sie mit anderen Christenmenschen haben wird. Zum Erwachsenwerden gehört, schließlich selbständig herauszufinden, was einem schmeckt und was nicht. Was ich ihr und uns allen wünsche: Dass wir nie die Lust verlieren, das Leben zu kosten und auszukosten.

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