SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

16JAN2022
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Noch ist das neue Jahr neu. Was es bringen wird, ist ungewiss. Nicht nur, weil die Pandemie nicht überwunden ist. Das Ungewisse ist grundsätzlicher. Wir können uns noch so kümmern, wir haben nicht alles in der Hand.

Das Lied zum Sonntag heute ist ein Statement. Es relativiert die Ungewissheit. Weil dort klar ist, was immer am Anfang steht - in jedem Jahr, an jedem Tag, wie diesem heute morgen.

 

Die güld‘ne Sonne voll Freud und Wonne
bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen
ein herzerquickendes, liebliches Licht.
Mein Haupt und Glieder
die lagen darnieder.
Aber nun steh ich,
bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

 

Es ist nicht zu überhören, dass hier das Positive überwiegt. Der tänzerische ¾-Takt der Melodie und der Text mit seinem bewegten Versmaß sind sich darin einig. Alles klingt zuversichtlich. Wo ich falsch liege, wo ich meine Endlichkeit spüre, wo ich traurig bin - selbst dorthin kommt noch Licht. Weil Gott seine Sonne aufgehen lässt über Guten und Bösen, wie es beim Evangelisten Matthäus heißt[1].
So gern ich das Lied singe, manchmal ist es mir doch zu viel. Wenn ich morgens mit Bauchgrimmen im Bett liege, weil meine Gedanken darum kreisen, was alles auf mich wartet. Wenn ich von einem Freund höre, dass sein Krebs von neuem zu wachsen begonnen hat. Dann sehe ich das Licht nicht. Gleichzeitig tut es gut zu wissen, dass die Sonne da ist, auch wenn sie von Wolken verdeckt wird; dass sie mit ihrem Licht und ihrer Energie Leben schenkt, ohne die wir gar nicht leben könnten. Ich bemühe mich, diese Hoffnung nicht aufzugeben. Solange die Sonne jeden Morgen aufgeht, vertraue ich mich ihrem Licht an.

 

Abend und Morgen sind seine Sorgen;
segnen und mehren, Unglück verwehren
sind seine Werke und Taten allein.
Wenn wir uns legen, so ist er zugegen;
wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen
über uns seiner Barmherzigkeit Schein.

 

Paul Gerhardt hat das Lied von der güld‘nen Sonne am Ende seines Lebens gedichtet In vielen Liedern verwendet er die Sonne als Bild für Gottes Liebe. Dieses ist eines seiner letzten Lieder, und man merkt ihm die Weisheit des Alters an. Gerhardt spricht von dem, was einfach immer da ist. Dass die Sonne die Welt und mich am Leben erhält. Dass Luft in meinen Lungen ist. Dass mir der Himmel offen steht. Dass das Leben alles in allem ein Wunder ist, und oft eine Freude. Da ist Gott am Werk. Als gäbe es keinen Grund, morgens im Bett zu bleiben. Da ist kein Platz für die Sorge, was wohl ein Tag an Problemen mit sich bringen mag. Da liegt kein depressiver Schleier über dem Gemüt. Die Sonne geht strahlend auf und durchdringt die Welt bis in ihren letzten Winkel.

 

Trotzdem ist das Lied nicht naiv, das wird v.a. in der nächsten Strophe deutlich. Es blendet nicht aus, dass mich Leid treffen kann, und ich sterben muss. Da ist es viel realistischer als vieles, was uns sonst begegnet. Die Welt, in der alles heil und gesund und glücklich wäre, diese Welt gibt es nicht. Und auch keinen Menschen, der vom Leid verschont bleibt. Nur ist da noch etwas anderes. Ein Halt, der uns nie loslässt. Ein Licht, das selbst im größten Dunkel noch leuchtet.

 

Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Wille hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden,
heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen,
halten uns zeitlich und ewig gesund.

 

 

MUSIKANGABEN:

M0272246 01-016 1'59

Die güldne Sonne voll Freud und Wonne für Knabenchor und Orgel

Ich bete an die Macht der Liebe - Große geistliche Chöre

Ebeling, Johann Georg; Gerhardt, Paul

Stuttgarter-Hymnus-Chor

 

 

M0474960 01-001 3'26

Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne.

Geistliches Lied für Singstimme und Basso continuo, BWV 451

Schemellis "Musicalisches Gesang-Buch"

Bach, Johann Sebastian; Gerhardt, Paul

Mertens, Klaus; Asperen, Bob van; Möller, Wouter

 

 

ZE00646 02-009 1'19

Präludium über "Die güldne Sonne voll Freud und Wonne" für Orgel

In memoriam Massimo Nosetti

Nosetti, Massimo   Tavarnesi, Carmelo

 

 

[1] Matthäus 5,45

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34659
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