SWR2 Wort zum Tag

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17JAN2022
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Wenn meine Schwiegermutter aus ihrer Kindheit erzählt, kann ich oft nur den Kopf schütteln. Kaum zu glauben, wie es damals in Lüdenscheid im Sauerland, zugegangen ist. Vor 60 Jahren ist durch die Stadt eine unsichtbare Mauer verlaufen. Auf der einen Seite die Welt der Katholiken, auf der anderen die Welt der evangelischen Christen. Da gab es den katholischen Bäcker und Gemüseladen, dort gab es die evangelischen Geschäfte. Alles fein voneinander getrennt. Denn von der anderen Konfession hat man nicht viel gehalten. Wenn ein katholischer und ein evangelischer Partner heiraten wollten, war das in vielen Familien ein Riesenproblem. Da haben Eltern damit gedroht, der Hochzeit des eigenen Kindes fernzubleiben. Ob in Lüdenscheid, Karlsruhe oder Heidelberg: Überall in Deutschland gab es damals diese unsichtbare Mauer.

Heute ist der Tag der Weltreligionen. Dieser Gedenktag erinnert daran, dass alle ein Recht darauf haben, ihre Religion frei auszuüben. Für mich ist es auch ein guter Anlass, um davon zu sprechen, was wir bereits erreicht haben. Nie zuvor konnten sich Menschen in Deutschland so frei entscheiden, woran sie glauben oder nicht glauben. Kaum jemand wünscht sich die Zeiten zurück, in denen sich evangelische und katholische Christen in den Haaren lagen.

Das Beispiel aus Lüdenscheid zeigt: Es geht nicht nur um das friedliche Miteinander von verschiedenen Weltreligionen. Schon bei den Christen gibt es eine große Vielfalt von Konfessionen und Kirchen. Oft gibt es innerhalb einer Religion sogar mehr Konflikte als mit einer anderen. Auch innerhalb der katholischen Kirche gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der Glaube gelebt werden soll.

Bei den großen Weltreligionen fallen mir auf Anhieb zwei wichtige Gemeinsamkeiten ein:  Der Glaube an eine überirdische Macht und an ein Leben nach dem Tod. Bei der überirdischen Macht sprechen wir meist von Gott, dem Schöpfer oder Allah. Beim Leben nach dem Tod geht es um die Seele: Sie soll im Jenseits weiterexistieren. Wenn Sie daran glauben, können Sie sich im Großen und Ganzen als religiösen Mensch bezeichnen. Das kann die Grundlage sein, um weiter zu fragen und andere religiöse Vorstellungen kennen zu lernen.

Mich würde es freuen, wenn der Weltreligionstag dazu genutzt würde, auf die vielen Fortschritte zu schauen, die es gibt: Vor zehn Jahren wurde in Lüdenscheid sogar ein interreligiöses Forum gegründet, in dem Menschen aus Judentum, Christentum und Islam zusammenarbeiten. Hier und in vielen anderen Städten wollen Menschen zeigen: Wir schauen auf das, was uns verbindet. Wir treten dafür ein, dass alle Religionen und Konfessionen friedlich zusammenleben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34655
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