SWR1 Begegnungen

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06JAN2022
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Klaus-Peter Lüdtke

Malte Jericke trifft Klaus-Peter Lüdke, Pfarrer und Autor

Teil 1 Fragen und Akzeptanz

Er ist Pfarrer und Vater. Und er hat ein Buch geschrieben: Jesus liebt trans. Wie kam es dazu?

Das war ein sehr aufregendes Buch nach einem sehr aufregenden Sommer. Unser Junge 13 Jahre alt, hat sich geoutet, öffentlich und vorher auch uns.

Der Sohn von Pfarrer Klaus-Peter Lüdke ist transident. Er wurde im für sich falschen Körper geboren – als Mädchen. Das fühlte sich schon seit seiner Kindheit komisch an. In Worte fassen konnte er es nicht. Als er auf das Thema Transidentität gestoßen ist, hat er festgestellt: Ja, das bin ich.

Und weil wir öffentliche Personen waren im Dorf und er auch bekannt war noch im zugewiesenen Geburtsgeschlecht, also nicht als Junge, da haben wir dann angefangen, den Menschen zu erzählen und zu erklären, was passiert ist.

Dass das Kind des Pfarrers transident ist, ist in der Kirchengemeinde und im Dorf natürlich Thema. Lüdke ist Pfarrer in Altensteig im Schwarzwald. Für viele Menschen dort spielen die Bibel und die christlichen Traditionen noch eine große Rolle. Viele gelten als eher konservativ. Der Pfarrer hat in diese Zeit viel geredet, sich auch Vorbehalte angehört und diskutiert. Hat er und seine Familie viele negative Erfahrungen machen müssen?

Dadurch, dass wir das Gespräch gesucht haben und wirklich versucht haben, alle Vorbehalte auch mal zu hören und darüber ins Gespräch zu kommen, nachzudenken, noch mal ins Gespräch zu gehen, haben wir sehr wenig schroffe Ablehnung aus unserem Umfeld erlebt.

Und wie sich herausstellt: für viele Menschen, mit denen Lüdke gesprochen hat, ist queeres Leben doch auch gar nichts Ungewöhnliches. Sie haben dann zum Beispiel von ihrer Großtante erzählt, bei der das doch auch schon so gewesen sei.

Ich fand es dann sehr schön, dass die Menschen, wo ich es gar nicht erwartet hatte, dass da sehr viel Liebe, dann auch rüberkam und auch sehr viel Verständnis und „ja das kennen wir schon“

Und trotzdem: Es gibt es auch Fragen und manchen fällt es schwer zu akzeptieren, wie Klaus-Peter Lüdke mit dem Thema Transidentität umgeht – gerade im kirchlichen Milieu. Für manche passen queeres Leben und die Bibel nicht zusammen.

Und auch für Pfarrer Lüdke stand manche Glaubensgewissheit plötzlich infrage. Aber er möchte beides: die biblische Tradition bejahen und sein Kind akzeptieren, so wie es ist. Deshalb hat er sich auf Suche begeben, ob und was die Bibel über queeres Leben erzählt.

Teil 2 Josef – ein Mädchen!?

Klaus Peter Lüdke ist Pfarrer und Vater eines transidenten Jungen. Es hat ihn umgetrieben, wie queeres Leben zusammenpasst mit dem christlichen Glauben. Und er hat in der Bibel einiges dazu gefunden. Zum Beispiel in der Josefsgeschichte. Josef, der Sohn von Jakob, dem Stammvater des Volkes Israel, bekommt von seinem Vater ein wunderschönes Kleidungsstück geschenkt – ein Kleid.

Beim näheren Hinschauen und beim Lesen auch des hebräischen Textes fiel mir auf, dass Josef nicht nur einen Kleid trug, sondern ein – Im Hebräischen heißt es ein „Ketônet passîm“ – Das ist ein Ärmelkleid übersetzt und an einer anderen Stelle – (also nicht nur im ersten Buch Mose im zweiten Buch Samuel nämlich) – da wird dieses Kleid noch mal erklärt, und da heißt es von diesem Ärmelkleid, damit kleideten sich des Königs Töchter. Königstöchter sind Prinzessinnen. Trägt Joseph also ein Prinzessinnenkleid, das ihm sein Vater selbst angefertigt hat.

Josef, ein Junge, Sohn eines großen Patriarchen, trägt ein Prinzessinnenkleid. Pfarrer Lüdke deutet das so: Josef war transident, er erlebte sich selbst als Mädchen.
Mich hat das erstmal erstaunt, ja irritiert. Ich hab schon viel in und über die Josfesgeschichte gelesen. Dass sich Josef als Mädchen erlebt hat – diese Deutung war mir neu. Aber was Pfarrer Lüdke wichtig ist: Man kann die Bibel aus unterschiedlichen Perspektiven lesen. Seine transidente Lesart sieht er nicht als Ersatz traditioneller Deutungen, sondern als Ergänzung. Wie er das erklärt hat mich überzeugt:

Ich bin ein Mann. Ich lese die Bibel oft auch aus der Perspektive eines Mannes. Aber eine Frau hat einen anderen Zugang nochmal zur Bibel und entdeckt dabei auch Zugänge zu diesen alten Texten, die schon in diesen Texten selber standen. Ich weiß jetzt heute um Transidentität und kann dann auch Transidentität in der Bibel wiederentdecken, die anderen historisch-kritisch lesenden verborgen bleiben, weil sie jetzt diese Brille Transidentität nicht haben. 

Kein Verständnis und keine Akzeptanz für ihre Schwester hatten Josefs ältere Brüder. Sie misshandeln Josef, demütigen sie sexuell und verkaufen sie schlussendlich als Sklavin. Für Lüdke hat das auch einen aktuellen Bezug.

Das ist ein Trauma, das vielleicht nicht in dieser Schärfe, aber in manchen Kulturräumen auch und auch in unserem Land manchmal doch leider auch queere Menschen durchleiden, dass sie ausgegrenzt werden, dass die gedemütigt werden, dass sie keine Akzeptanz finden.

Josef findet zum Glück einen Weg aus ihrem Trauma und der Gewaltspirale heraus. Als sie ihren Brüdern später wieder begegnet, zeigt sie ihnen den Schmerz, den sie ihr angetan haben. Ihre Verletzung kann heilen. Josef kann verzeihen und versöhnt sich mit ihrer Familie. Ein Ende, das Pfarrer Lüdke hoffnungsvoll stimmt.

Was kann es Schöneres geben, dass sie sich in die Arme fallen? Dass Vater und Tochter dann auch wieder zusammenkommen und dass sie ja das Leben feiern.[…]
Das ist eine schöne Umkehr von Ablehnung hin zu einer wunderschönen Akzeptanz danach
.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34574
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