SWR2 Wort zum Tag

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03JAN2022
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Im Zug lerne ich einen jungen Mann kennen. Schätzungsweise 20 Jahre wird er alt sein.

Er ist auf dem Weg nach Berlin zu einer Demonstration für den Klimaschutz.  Wir sitzen eine Weile nebeneinander im Zug und unterhalten uns über das Klima. Es ist toll, wie eloquent und kenntnisreich er ist. Er hat Fakten und Zahlen parat, argumentiert klar und deutlich und drückt sich dabei richtig gut aus. Er brennt für sein Thema.

Irgendwann erzählt er mir dann, dass er keine Kinder will. Es sei unverantwortlich in so eine Welt noch Kinder zu setzen. Betrachtet man das, was klimatisch auf uns zukommen wird, darf man keine Kinder bekommen. Gewissermaßen sei es seine „Vaterpflicht“ kinderlos zu bleiben.

Das irritiert mich dann schon etwas. Ich kann es grundsätzlich verstehen und nachvollziehen, wenn jemand aus persönlichen Gründen nicht Mutter oder Vater sein möchte  - Aber was der junge Mann sagt, klingt so programmatisch. Beinahe dogmatisch. Wie eine moralische Forderung an seine Generation. Erspart Euren Kindern das Elend, das die Zukunft bringt. Pflanzt euch nicht fort!

Ich tu mir mit solcher Endzeitrhetorik schwer. Das Weltende wurde schon oft beschworen. Aber die Welt ist immer noch da. Ich glaube, solche düsteren Zukunftsbilder bringen uns nicht weiter. Ganz gleich wie drängend das Thema ohne Frage ist.

Vor allem, wenn ich an meine Großeltern zurückdenke, dann sehe ich hoffnungsfroher in die Zukunft.

Ich bin in meinem Leben schon vielen tollen Menschen in meinem Alter begegnet. Aus Polen, aus Deutschland, aus Russland, aus Israel, aus Griechenland, aus ganz vielen anderen Ländern. Sie hatten - genauso wie ich - Großeltern, die nach dem zweiten Weltkrieg auf den Trümmern ihrer Existenz gesessen sind. Die kaum zu essen hatten, die vertrieben worden sind, die trauerten, die traumatisiert waren. Um die herum alles zerstört gewesen ist. Die sich oft keine Zukunft vorstellen konnten. Die keine Perspektive hatten. Die Angst hatten und nicht weiter wussten. Ich kann mir vorstellen, dass viele von ihnen Zweifel gehabt haben, Kinder in diese zerstörte Welt zu setzen.

Ich bin froh und dankbar, dass sie es trotzdem gemacht haben. Vermutlich, weil sie hofften, dass es wieder besser wird. Dass es sich lohnt weiterzumachen.

Deshalb gibt es auch mich. Und ich bin gerne hier.

 

Ich wünsche Ihnen ein frohes neues Jahr

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