SWR1 Begegnungen

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19DEZ2021
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Pfarrer Rainer Maria Schießler Foto: Susi Knoll

„Ich gehe zur Beichte“. Das habe ich noch nie von jemandem in meinem Umfeld gehört. Weil es den meisten Menschen wohl so geht wie mir: Bei diesem Thema habe ich mir lange einen alten, muffigen und dunklen Holzkasten vorgestellt, den Beichtstuhl. In der einen Hälfte sitze ich, in der anderen ein Priester; ich kann ihn nicht sehen, nur hören. Und dann soll ich erzählen. Was ich nicht gut gemacht habe in meinem Leben. Wo ich gesündigt habe. Und der Priester urteilt darüber, wie ein himmlischer Richter. Nein, sowas brauche ich nicht.  Aber vielleicht liege ich falsch. Es kann auch ganz anders laufen. Das wird mir deutlich, als ich mit dem Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler spreche. Er ist ein Mann der klaren Worte. Dafür ist er nicht nur in Kirchenkreisen bekannt. Schon sein erster Satz zum Thema Beichte sitzt:  

Du kannst scheiße bauen und bist wieder befreit. Das ist natürlich sehr oberflächlich gedacht. Aber es bringt eigentlich auf den Punkt, was für eine Ur-Erfahrung wir als Kinder bei der Erst-Beiche gemacht haben: den Moment der Befreiung.

Der kleine Rainer Maria und seine Freunde hatten keine Angst damals. Und als sündige Übeltäter haben sie sich nie gefühlt. Deshalb kann er bis heute sagen, dass die Beichte ein tolles Sakrament ist.

Ich werde ein Leben lang dazu eingeladen. Diesen Moment der Befreiung, dass mir jemand zusagt, Leben geht weiter, Zukunft ist da, Deine Begleitung hat sich nicht von Dir verabschiedet. Gott ist immer noch an Deiner Seite. Du musst nicht verzweifeln, nicht mal an Deiner eigenen Schuld, das ist eine starke Zusage.

Und Rainer Maria Schießler weiß, wovon er spricht. Er war noch sehr jung, als er selber genau diese Begleitung gebraucht hat. Jung und sehr wütend auf Gott.

Meine ganz persönlich intensivste Beichte war vor 40 Jahren, am Tag nach dem Tod meiner Mutter. Ich war 19 Jahre alt und ich hab das als so eine Ungerechtigkeit empfunden. Und ich konnte meine Wut ihm gegenüber überhaupt nicht beschreiben.

Ich stutze, als Pfarrer Schießler von dieser Situation erzählt. Ist Wut ein Grund zur Beichte zu gehen?  

Ich hab’s deklariert als Sünde vor Gott, dass ich mich über ihn furchtbar geärgert habe. Ich wollte ihm sagen, was Du hier gemacht hast, ist unter aller Sau. So, wie ein 19-Jähriger, der jetzt grad sein Abitur gemacht hat, der grad sein Leben vor sich hat, jetzt wirklich da steht, wie der Depp vom Dorf.

Die Reaktion des damaligen Beichtpriester sollte für den späteren Pfarrer zum Maßstab werden.

Das war eine meiner wichtigsten Unterweisungen, er hat kein frommes Ei drüber geschlagen. Er hat einfach versucht, mit mir Wut in Trauer umzuwandeln. Was noch lange gedauert hat, aber da war der Anfang.

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Der Münchner Pfarrer und Buchautor Rainer Maria Schießler meint, die Beichte sei das wichtigste Sakrament in der katholischen Kirche. Weil beichten heißt: Du bekommst eine neue Chance. Jedes Mal wieder. Zurück auf Los, quasi. Ganz egal was ich getan habe? Kleine Sünde oder große Sünde?

Völlig egal. Keinem ist diese Umkehr versperrt. Und sei die Schuld noch so groß. Ich geh doch nicht hin mit der Waage oder dem Rechenschieber ob ich ihn jetzt davon lossprechen kann oder nicht. Was ich Dir zusagen kann ist dieses biblische Wort: Fürchte Dich nicht. Vertraue auf diese Urkraft, die auch in Dir da ist. Nämlich eine Sehnsucht, die auf jeden Fall beantwortet wird. Nämlich, dass du angenommen bist.

Auf die Idee bin ich lange nicht gekommen, dass ein Beichtgespräch mir dabei helfen könnte. Und da bin ich wohl nicht allein.

Das ist ja so eine komische Geschichte. Dass der Niedergang dieses Bußsakraments begleitet wurde von dem Aufkommen der öffentlichen Beichten. In Talkshows, in den sozialen Medien. Je leerer die Beichtstühle wurden, umso voller wurden die Fernsehstudios; und jetzt die sozialen Medien.

Das bedeutet: Das Bedürfnis zu beichten ist also grundsätzlich da, aber an anderen Orten beziehungsweise auf anderen Kanälen. Andersrum gefragt: Statt einem Facebook-Post also zwischendurch mal ein geistliches Gespräch suchen, um die Seele zu heilen?

Auf jeden Fall findet, wenn du das möchtest, in Dir ein Prozess der Verwandlung statt. Zumindest an der eigenen Minderwertigkeit nicht zu zerbrechen. Ich muss bei mir anfangen, diese Minderwertigkeit abzubauen, um stark werden zu können. Und dann bin ich auch ein anderer Mensch. Aber das heißt nicht, dass das auf Knopfdruck geht, das ist kein Heilsautomatismus, es ist eine geistliche Übung.

Wann ist ein guter Zeitpunkt für solch ein Gespräch, frage ich den Pfarrer der Münchner St.-Maximilians-Kirche.

Ich brauch die Abwechslung, dann brauch ich wieder die Einkehr. Ich werde jetzt mit Sicherheit nicht nach Mallorca fahren und den belebten Strand mit den Quartalssäufern verlassen, um jetzt in der nächsten Kirche zu beichten. Da gibt’s jetzt keinen Anlass. Aber ich könnte zum Beispiel, wenn ich mich zurückziehe, wenn ich mal drei oder vier Tag in einem Kloster verbringe, das zur Gelegenheit nehmen, dass man dann beichten geht.

Was ist es also am Ende für Rainer Maria Schießler? Was macht dieses Sakrament, die Beichte, so wertvoll?

Einfach den Menschen zusagen können, das Leben ist fragmentarisch. Es geht nicht darum, mich darüber zu ärgern, dass es bruchstückhaft ist, sondern in den Bruchstücken einen Plan zu entdecken. Und dieser Plan ist Gott selber.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34509
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