Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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22DEZ2021
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Die Künstlerin Madeleine Dietz hat im Jahr 2000 ein Bild veröffentlicht: „Madonna mit dem Kinde“. Eigentlich nichts Besonderes, es gibt ja viele Bilder, die Maria mit dem kleinen Jesus zeigen. Erst im zweiten Moment habe ich die gelbe Stoff-Ente in der Hand des Kindes entdeckt. Nanu? Jetzt erst habe ich genauer hingeschaut und gemerkt: Die Künstlerin hat ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert genommen und hat es am PC bearbeitet. Das Kind auf dem Schoß der Maria ist nun ein Kind aus unserer Zeit. Mit Latzhose und rotem Pulli. Und es hat das Down-Syndrom. Ein Kind mit Behinderung. Und habe ich schon erwähnt, dass es ein Mädchen ist?

Ich bin aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen. Je länger ich das Bild angeschaut habe, umso mehr hat es mich berührt. Ein behindertes Kind, von Maria liebevoll im Arm gehalten. Ich habe das Bild Jugendlichen gezeigt, und sie haben tatsächlich nicht bemerkt, dass das Kind Down-Syndrom hat. Sie haben einfach nur ein Kind gesehen. Ein Kind, das geliebt wird, munter in die Welt guckt und vermutlich gerade jemandem die Stoff-Ente überreichen möchte.

Das allein wäre ja schon eine wichtige Botschaft: Jedes Menschenkind ist einfach nur ein Menschenkind, das geliebt werden möchte und geliebt werden soll. Perfekt ist keines. Oder alle sind es, auf ihre ganz eigene Weise.

Aber nun ist es ja auch noch ein Weihnachtsbild. Jesus, der Sohn Gottes, als Kind mit Behinderung. So kommt Gott zur Welt. Das hat einige Leute aufgeregt, als die Künstlerin ihr Bild vorgestellt hat. „So kann man doch nicht von Gott reden“, haben sie protestiert. „Gott ist doch makellosl!“ Das Bild hat Diskussionen ausgelöst, wie wir uns Jesus als Sohn Gottes vorstellen. War er perfekt und makellos? Vielleicht hatte er einen Seh-Fehler. Und wo steht eigentlich, dass er ein Mathe-As war oder besonders schnell von Begriff gewesen wäre? Er war einfach nur ein Kind. Verletzlich und liebebedürftig wie jedes Kind. So kommt Gott zu Welt. So kommt er mir nah.

Vielleicht habe ich mich über die Jahre so sehr an die Weihnachtsgeschichte gewöhnt, dass ich sie nicht mehr spannend und irritierend finde. Aber eigentlich ist es ja der Hammer. Der ewige Gott wird Mensch. Junge oder Mädchen? Mit Behinderung? Egal. Ein kleines Bündel Mensch, anderen Menschen anvertraut. So nah kommt mir Gott.
An Weihnachten will ich darüber wieder staunen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34501
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