Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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21DEZ2021
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Heute ist nach alter kirchlicher Tradition der Thomas-Tag. Thomas, das ist einer 12 Jünger Jesu. In der Bibel wird er als ein Mann beschrieben, der sich viele Gedanken macht. Wenn alle etwas super finden, ist das für ihn noch lang kein Grund, das auch super zu finden. Thomas fragt und hakt nach. Er wägt in aller Ruhe ab, bis er seine eigene Meinung gefunden hat. Blindlings vertrauen, das ist nicht seins.

Das hat ihm den Beinamen „der Ungläubige“ eingebracht. Aber ich denke, das wird ihm nicht gerecht. Fragen und zweifeln, das ist nichts, weswegen man sich schämen müsste. Genau genommen ist es eine Gabe. Jemand wie Thomas versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn ich heutzutage jemanden wie ihn in meinem Team habe, wird er vermutlich dafür sorgen, dass wir nicht auf die Schnelle irgendwas machen. Jemand, der nachfragt wie er, sorgt dafür, dass ich genauer hinsehe. Auch wenn er manchmal anstrengend ist.

Anstrengend kann ein Charakter wie Thomas auch für sich selbst sein. Gerade wenn er vor einer Entscheidung steht, Antworten sucht und sie nicht findet. Ohne Antworten im Dunkeln zu tappen, kann einen zur Verzweiflung bringen. Darauf weist das Datum heute hin. Der Thomas-Tag ist nicht etwa im Frühjahr oder im Sommer. Nein, es sollte der 21. Dezember sein. Der kürzeste Tag, die längste Nacht des Jahres. Die längste Nacht, die steht symbolisch auch für Verzweiflung, für Dunkelheit im eigenen Herzen. Die Thomasnacht erinnert daran, dass der Grat zwischen Zweifeln und Verzweifeln womöglich ein schmaler sein kann.

Bei dem Jünger Thomas finde ich in der Bibel eindrücklich beschrieben, was ihm hilft. Thomas ist zwar ein kritischer Geist, aber er ist nicht überheblich. Er hält sich nicht für schlauer als alle anderen. Er sucht das Gespräch mit ihnen und hört zu. Und er kann zur Ruhe kommen und es gut sein lassen.

Dann wäre da noch Jesus. Der geht auf Thomas zu, begrüßt ihn mit dem Friedensgruß und nimmt seine Fragen ernst. Für Thomas eine Erfahrung, die ihm nahegeht.

Thomas heißt auf Deutsch übrigens „Zwilling“. Ich denke, er hat auch heute noch viele Zwillingsschwestern und -brüder. Auch ihnen sei der Tag heute gewidmet. Ich wünsche ihnen, dass auch sie den alten Friedensgruß Jesu hören: „Friede sei mit dir!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34500
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