SWR4 Sonntagsgedanken

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12DEZ2021
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Wenn ein Kommentar deplatziert ist.

Es ist schwer, die Meinung anderer auszuhalten. Wie schwer, das erleben wir gerade bei der Diskussion rund um Corona: Impfpflicht, Meinungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit… Die Politik muss schwere Entscheidungen treffen. Dass die verschiedenen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Meinungen gar nicht mehr miteinander reden, macht die Sache nicht leichter.

Richtig Streiten will gelernt sein. Eine gute Gelegenheit dafür sind die Tagungen des evangelischen Jugendverbandes. Ich war Anfang November bei so einer Veranstaltung.  Die meisten der Anwesenden waren zwischen 16 und 27. Aber natürlich waren auch ein paar ältere Leute dabei.  

Das Besondere an diesen evangelischen Jugendtagen: Die jungen Leute üben Demokratie. Das heißt:  Sie debattieren über die gegenwärtige politische Lage oder auch über die Lage der Kirchen, und dass sie immer mehr Mitglieder verliert. Die Jungen gehen unbefangen und mit frischem Wind in die Diskussion. Da kriegen die Älteren ab und zu ganz schön was zu hören. Die meisten können das ganz gut einordnen, schließlich hat man ab einem gewissen Alter etwas mehr Erfahrung. Trotzdem. Für die älteren   gilt, auszuhalten, was die Jugendlichen sagen. Und die langen im Eifer des Gefechts auch mal ganz schön daneben.

Zum Beispiel auf meiner Tagung Anfang November: Die Gruppe debattierte, ob man nicht mehr Geld für die Jugendarbeit ausgeben sollte. Das ist, zugegeben, ein schwieriges Thema. Die Kirche muss sparen, wie Sie vielleicht wissen. Zusätzliche Stellen für Pädagogen oder Jugendreferentinnen kommen deshalb nicht in Frage. Wegfallen tun aber auch keine.

Evelina, 18 Jahre, hat das wohl nicht so genau gewusst. Sie war zum ersten Mal bei der Tagung dabei und hat gesagt: „Überall werden Stellen für Pädagogen gestrichen. Da haben wir bestimmt keine Chance, einen anzustellen.“ Danach war einen Moment Stille im Raum. Wir anderen sind ein bisschen auf unseren Stühlen umhergerutscht. Mutig von Evelina, etwas zu sagen. Aber – halt falsch.

Willi, 62 Jahre, seit 30 Jahren auf diesen Tagungen, hat massiv die Stirn gerunzelt und Evelina gefragt: „Wo werden denn Stellen gestrichen?“ So zu fragen war eigentlich eine Gemeinheit, weil Evelina damit vorgeführt wurde. Sie hatte einen Schuss ins Dunkle gewagt und einfach etwas behauptet, ohne vorher nachzufragen. Willi hat sie energisch korrigiert: „Es gibt einen Plan für die Stellen, da werden keine gestrichen.“ Und dann hat er noch einen drauf gesetzt: „Man kann sich ja mal informieren, bevor man hier irgendetwas sagt.“

Wissen Sie, ich finde: Es gehört dazu, auch mal auszuhalten, wenn ein Mensch was Falsches sagt. Sogar dann, wenn  das nicht nur falsch, sondern sogar was Dummes war. Dass hier ein erfahrener Mensch eine Anfängerin vorführt, geht, wie man heute sagt, gar nicht. Auch, wenn es nicht leicht ist, falsche Aussagen auszuhalten: Es gehört dazu. In einem Verband, in der Demokratie und nicht zuletzt auch für die christlichen Kirchen.

Lob fürs Aushalten

Gerade in der Diskussion rund um die richtigen Corona-Maßnahmen finde ich das wichtig. Aber das war es auch schon vor 2000 Jahren. Damals haben sich die Christen in der Stadt Korinth die Köpfe heiß diskutiert und miteinander gestritten über die richtige Art, an Gott zu glauben. Die Gemeinschaft in Korinth fing an, sich zu spalten. Die eine Gruppe sagte: Wir orientieren uns an der Meinung des Apostels Paulus. Eine andere Gruppe sagte: Wir orientieren uns an Paulus‘ Mitarbeiter. Und die dritte Gruppe sagte: Wir aber orientieren uns am Mitarbeiter von Paulus‘ Mitarbeiter. Jede Partei wollte recht haben und die anderen am liebsten mundtot machen.

Paulus konnte das irgendwann nicht mehr mit ansehen. Und er schrieb den Korinthern einen Brief: Hört auf, Euch an einzelnen Menschen zu orientieren.“ heißt es darin. „Orientiert Euch lieber an Jesus Christus. Er ist der Grundstein, auf dem Ihr lebt. Hört auf, über einander zu richten. Denn nur Gott darf richten“ (1. Kor 4,5). Die Pointe bei Paulus: Gott entscheidet. Er richtet ohne zu strafen. Paulus weiß, dass er die loben wird, die nicht gerichtet haben. Gott lobt die Menschen dafür, wenn sie  eine andere Meinung aushalten.

Jetzt bin ich mir natürlich voll bewusst, dass man heutzutage nicht einfach so auf Jesus als Grundstein verweisen kann.  In den hitzigen Diskussionsrunden über Politik oder Corona-Fragen streiten ja nicht nur Christen miteinander. Aber ich denke doch, dass das, was Paulus beschreibt, heute allgemein gültig ist. Wenn jede gesellschaftliche Gruppierunge meint, alleine recht zu haben – dann kann es nicht mehr gelingen, sich zu verständigen. Wozu auch? Man hat ja schon recht.

Für Paulus tut sich durch seinen Glauben eine Möglichkeit auf: Wenn nur Gott wirklich weise ist, dann muss ich in Betracht ziehe, falsch zu liegen. Die Möglichkeit, falsch zu liegen, ermöglicht überhaupt, dass Menschen gemeinsam ausloten, was richtig sein könnte. Irgendwann muss dann eine Entscheidung her - An dem Punkt sind wir jetzt in der Corona-Pandemie. Und eine Gruppe wird die andere überstimmen. Für die Gegner der beschlossenen Maßnahmen ist das schwer auszuhalten. Für die Befürworter ist es aber auch nicht leicht. Und eines sollten alle Beteiligten nicht vergessen: Wir müssen die Meinung der anderen aushalten, denn sonst wird unser Miteinander zerbrechen.

Machen Sie das doch in der kommenden Woche mal ganz bewusst! Sagen Sie sich: „Auch ich könnte mich irren.“ Halten Sie aus, wenn einer mal was Falsches sagt und wenn nicht, bleiben Sie fair. Denn auch Ihr Gegenüber könnte recht haben. Wer so lebt, verdient Lob.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34462
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