Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16DEZ2021
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„Bless you“, wünscht mir meine amerikanische Schwägerin, als ich niesen muss. „Bless you“ heißt ins Deutsche übersetzt: „Gesegnet seist Du“. Im Deutschen höre ich eher „Gesundheit“, wenn ich niesen muss. Es würde wohl Irritation auslösen, wenn jemand bei uns im Deutschen an der Stelle sagt: „Segen für Dich!“ oder „Gesegnet seist Du!“ Ich finde es schade, dass das nicht üblich ist, vor allem wenn ich mir vor Augen führe, dass Flüche oder Lästern im alltäglichen Sprachgebrauch beinahe selbstverständlich sind. Wenn ich erlebe, wie zerstörerisch üble Nachrede wirken kann, wünsche ich mir oft, dass es üblicher wird, anderen Menschen Gutes zuzusprechen. Denn nichts anderes meint ja „segnen“. Wenn ich segne, dann sage ich einem Menschen Gutes zu. Gerade jetzt sehe ich wieder viele Grußkarten, auf denen steht: „Gesegnete Adventszeit“ oder  „Gesegnete Weihnachten“. Aber Segen gilt nicht nur für besondere Zeiten. Wenn mich jemand segnet, tut mir das in jeder Situation gut. Ich spüre immer mehr, wie sehr es diese Momente braucht, in denen Menschen persönlich zugesagt wird, dass es gut ist, dass es sie gibt und dass ihr Leben unter einem Segen steht. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es mich selbst sehr bereichert, wenn ich Menschen Segen zusprechen darf. Das muss gar nicht immer öffentlich oder ganz offiziell sein. Ich kann Menschen auch innerlich segnen. Zum Beispiel gerade die, die mir das Leben schwer machen oder denen ich ansehe, dass es ihnen schlecht geht. Als ich für ein paar Jahre in Frankfurt am Main gelebt habe, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, Menschen, die mir in der U-Bahn oder auf der Straße ins Auge gefallen sind, zu segnen. Ich habe ihnen dann nur für mich zugesprochen: „Sei gesegnet, so wie Du bist.“ Dadurch konnte sich auch oft meine eigene Stimmung verändern. Ich wurde innerlich ruhiger und offener und konnte manchmal auch nachsichtiger im Umgang mit anderen werden. In manchen Gesprächen, die völlig verfahren sind oder wenn ich mich extrem über andere ärgere, hilft es mir sogar, wieder einen neuen Zugang zu meinem Gegenüber zu finden.

Ich vermute und hoffe, dass es jedem gut tut, wenn ihm ehrlich etwas Gutes zugesagt wird. Wenn ich mich so gesegnet fühlen kann, dann ist das, als ob mein Leben unter einem guten Stern steht. Und wenn ich andere segne, dann stelle ich auch ihr Leben ganz bewusst unter einen guten Stern. In diesem Sinne: Gesegnete Adventstage!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34452
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