Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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14DEZ2021
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„Kenne ich schon - langweilig!“ sagt Nils wegwerfend zu mir. Er kommt sich mit seinen elf Jahren schon sehr erwachsen vor und da ist so ein simples Spiel wie: „Ich sehe was, was Du nicht siehst...“ nicht mehr angesagt. Geschweige denn, dass er ein Spiel mehrmals wiederholen möchte. Ganz anders erlebe ich das bei Kindern im Kindergartenalter. Die können dieselben Spiele oder Abläufe ständig wiederholen und haben ihre helle Freude daran. Da versagt dann eher bei mir irgendwann die Stimme, wenn ich Leon und Elisa wieder und wieder dieselbe Geschichte erzählen muss. Kaum bin ich glücklich am Ende, höre ich schon: „Nochmal!“ Kinder wie Leon und Elisa lehren mich: Wenn sich etwas wiederholt, dann muss das noch lange nicht langweilig sein. Kinder lieben feste Rituale und ich als Erwachsene, wenn ich ehrlich bin, auch.

Oder denken Sie manchmal: Alle Jahre wieder Adventszeit, wie langweilig? Mir selbst sind viele Bräuche ans Herz gewachsen und deshalb halte ich mich an sie. So esse ich Mandarinen erst ab St. Martin, weil das in meiner Familie so üblich war. Ich verzichte bis heute gerne vor dem 11.11. darauf. Umso besser schmecken sie mir dann. Je älter ich werde, umso mehr merke ich, wie sehr solche festen Rituale mein Leben bereichern. Mir scheint, dass es gar nicht so bekömmlich für uns ist, wenn wir zu jeder Zeit auf alles zugreifen können. Warten und dabei beharrlich an etwas dran bleiben, das gehört für mich zur Freude eben auch dazu. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mich weiterbringt, wenn ich mich auf Wiederholungen immer wieder neu einlasse. Damit meine ich nicht nur jährliche Rituale, sondern auch tägliche Übungen. Im Tanztraining habe ich das früher oft so erfahren. Gerade wenn ich an bestimmten Bewegungsabläufen sehr lange dran bleiben sollte. Auch wenn das ständige Wiederholen manchmal mühsam wird, kann ich mich dabei immer mehr mit dem verbinden, was ich tue. Dabei bleibt es aber weiterhin eine Herausforderung für mich, die Zeiten auszuhalten, in denen scheinbar nichts passiert. Aber gerade die bilden oft das Fundament, auf dem etwas Neues entstehen kann. So wie im Moment in der Natur um uns herum scheinbar alles auf Stillstand steht, bereitet sich doch alles im Geheimen auf einen neuen Frühling vor.

Wir dürfen der Langeweile oder den Phasen, wo sich scheinbar gar nicht viel tut, ruhig etwas zutrauen!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und mir, dass wir in diesen ausgedehnten und dunklen Adventstagen viele lange Weilen erleben, aus denen etwas Neues geboren werden kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34450
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