Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10DEZ2021
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Im Moment – so habe ich den Eindruck – leiden viele Menschen an Selbstüberschätzung. Wir haben hunderttausende kleiner Corona-Experten. Egal, ob sie Impfbefürworter oder Impfgegner sind. Die ganze Aufgeregtheit und Gereiztheit erinnert mich an einen Satz meines Lehrers. „Wohl dem der nichts weiß und doch schweigt“. Oder wie ich es mal etwas plakativer auf Facebook gelesen habe: „Wenn du keine Ahnung hast, einfach mal die Klappe halten“.

Das Problem ist, dass inkompetente Menschen ihre eigene Unfähigkeit meistens nicht erkennen.
Was schon viel hilft ist, wenn ich mir selber klarmache, dass ich nicht der Nabel der Welt bin. Ich habe nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ein bisschen Bescheidenheit tut jedem ganz gut. Die andere Person könnte ja auch recht haben. Oder zumindest könnte was dran sein an dem, was sie sagt.

Vorbild ist mir dabei Papst Johannes der 23. Ja, genau der, der 1962 das 2. Vatikanische Konzil eröffnet hat. Er war nur knapp 5 Jahre im Amt, aber er hat viel in Bewegung gebracht. Auch, dass sich die verschiedenen Kirchen näher gekommen sind. Über diesen Papst habe ich mal eine Begebenheit gelesen, die mich immer wieder nachdenklich macht.

Nachdem er zum Papst gewählt wurde, war er in seinem Schlafzimmer im Apostolischen Palast. Dort setzte er sich noch einmal vor dem Spiegel voller Stolz die Tiara, die Papstkrone auf. Plötzlich hörte er die leise Stimme Gottes, die zu ihm sagte „Nimm dich nicht so wichtig, Giovanni!“.

Wundert es einen da noch, wenn er wegen seiner Bescheidenheit und Volksnähe im Volksmund il Papa buono („der gute Papst“) genannt wurde?

Wenn ich dazu neige, zu hochmütig zu werden, dann tut es mir gut, wenn ich jemanden an meiner Seite habe, der mich genau darauf hinweist. Freunde dürfen das bei mir. Oder meine Frau. Manchmal erinnere ich mich dann an Papst Johannes, den 23. und sage mir selbst „Nimm dich nicht so wichtig, Joachim“. Und dann bespreche ich mich im Gebet mit Gott. Denn er ist der Allwissende. Er kann mir bewusst machen, was gut ist. Er sagt mir, dass ich geliebt und angenommen bin – auch wenn vieles um mich herum nicht so läuft, wie ich mir das wünsche. Aber das hilft mir, auch die Sicht des anderen wahrzunehmen und zu respektieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34447
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