SWR2 Wort zum Tag

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29NOV2021
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Nach dem Tod seiner dritten Frau suchte der englische König Heinrich der VIII eine neue Herzdame. Also schickte er seinen Hofmaler Hans Holbein d.J. auf den Kontinent, um geeignete junge Adelsdamen zu portraitieren, die den riskanten Job als nächste Königin von England annehmen wollten. Holbein malte verschiedene junge Damen – eine Art Tinder des 16. Jahrhunderts – und das Portrait der Anna von Kleve konnte den englischen Herrscher überzeugen. Leider hat das am Ende weder den Maler noch Anna noch den König richtig zufrieden stellen können. Denn Heinrich fand die Anna aus Fleisch und Blut entschieden hässlicher als ihr Portrait und ließ die Ehe nach kurzer Zeit annullieren. Der Maler Holbein fiel in Ungnade und durfte nie wieder ein Mitglied der Königsfamilie portraitieren. Er starb am 29. November 1543. Überlebt haben sowohl sein Portrait des Königs als auch das der Anna von Kleve. Das Bild der Verstoßenen hängt heute prominent im Louvre und man ahnt, warum Heinrich VIII davon so hingerissen war. Es erfüllt mich allerdings mit einer gewissen Schadenfreude, dass es das Portrait des englischen Herrschers nicht nach Paris geschafft hat.

Ich habe mich gefragt, warum Holbein Anna von Kleve so liebreizend gemalt hat, obwohl sie – zumindest nach Aussagen von Zeitgenossen – keine strahlende Schönheit und dazu ziemlich langweilig gewesen sein muss. Holbein war ja ein großartiger Maler, der sein Handwerk perfekt beherrscht hat. Vielleicht war es so: Holbein hat die Fähigkeit besessen, in Menschen eine ihnen eigene Schönheit zu erkennen. Vielleicht hat es ihn auch gereizt, diese Schönheit durch seine Malkunst noch zu betonen und auf dem Bild zum Strahlen zu bringen. Das ging zwar an der Zielvorgabe und dem Interesse des englischen Königs vorbei, doch gerade darin erkenne ich eine göttliche Parallele. Wie Holbeins künstlerischen Malerblick möchte ich mir den Blick meines Schöpfers vorstellen. Wie wunderbar wäre es, wenn Gott den Blick eines Künstlers hätte, der mich schön findet, obwohl meine Umgebung diese Einschätzung ganz gewiss nicht durchgängig teilen wird. Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und das kann Auswirkungen haben.

Denn ich bin mir sicher, dass ein liebevoller Blick leibhaftig verändern kann. Wenn ich mir vorstelle, dass Gott mich schön findet, dann färbt das auf mich ab. Ich fühle mich wohler in meiner Haut und das hat leibhaftige Folgen. Vielleicht fange ich sogar an zu strahlen. Auch wenn ein Portrait von mir niemals im Louvre hängen wird:

Ich stelle mir gerne vor, dass mich Gott jeden Tag so liebevoll anschaut. Das hebt die Stimmung, selbst wenn draußen ein nebliger Novembertag wabert.

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