Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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01DEZ2021
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Ich stehe im Bastelgeschäft, und die Verkäuferin erklärt mir: „Nee, solche Kerzen hatten wir nie.“ Jetzt bin ich genervt, denn wie jedes Jahr suche ich spätestens Anfang Dezember nach diesen blauen Kerzen mit den silbernen Sternen, die bei uns auf den Adventskranz gehören. Dieses Jahr sind wir umgezogen, und die Geschäfte hier haben solche Kerzen einfach nicht.

Ich könnte sagen: „Egal, dann kommen dieses Jahr eben andere Kerzen auf den Kranz“. Aber das geht nicht. Im Advent sind mir solche Kleinigkeiten wichtig. Weil sie mich an früher erinnern. Aber dass im Advent so vieles so traditionell sein soll, das macht diese Zeit auch anstrengend. Manchmal ist es vom ersten Advent bis Weihnachten ein einziger Wettlauf.

Letztes Jahr war das extrem, sogar an Heiligabend noch. Da waren mein Mann, meine Tochter und ich durchgetaktet bis zum Schluss. Unsere Tochter Lina hat dann bemerkt, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Sie hat ironisch gesagt: „Für das Wunder von Weihnachten haben wir erst so gegen 23 Uhr nach der Christmette Zeit. Hoffentlich hält es sich daran“.

Linas Bemerkung hat gesessen. Und sie hat recht. Ich weiß doch eigentlich, was an Weihnachten für mich im Zentrum steht. Nämlich das, was an Weihnachten damals passiert ist. Eben das Weihnachtswunder. Dass da ein Baby unter den widrigsten Umständen auf die Welt gekommen ist. Und dass das etwas mit Gott zu tun hat. Weil Gott mich in diesem Baby anspricht. Und nicht nur in diesem einen Baby, sondern immer, wenn ich einen Menschen wirklich sehe. Und ich dann entdecke, dass da ein Gotteskind vor mir ist. Das ist Weihnachten, dass ich Gott ein bisschen greifen kann. 

Wenn ich jetzt im Advent einigen Stress in Kauf nehme, damit alles so ist, wie es eben sein soll, dann hat das damit zu tun. Die blauen Kerzen mit den silbernen Sternen und die vielen anderen kleinen Traditionen sollen das Fest ja schön machen, sie sind Zeichen für dieses Weihnachtswunder. Sie machen es aber nicht aus. Jedenfalls nicht allein. Und dass ich Gott treffen kann, das ist nicht auf den 24. Dezember terminiert.

Das kann auch passieren, wenn ich überhaupt nicht damit rechne. Zum Beispiel in einem Lächeln in der vollbesetzten Bahn. Oder in einem Gespräch mit einem Kollegen, in dem ich erfahre, wie es ihm wirklich geht.

Hoffentlich verpasse ich es nicht, wenn von Weihnachten schon heute etwas aufblitzt. Das kann auch dort sein, wo nicht alles so ist, wie es schon immer war. Womöglich kann ich etwas von Gott im Menschen sehen, womöglich auch schon heute.

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