SWR2 Wort zum Tag

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20NOV2021
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Und am Ende wartet das Jüngste Gericht! Bedrohlich hört sich das an. Wenn aufgelistet und bewertet wird. Zumindest in der Vorstellung vieler Menschen im Laufe der Geschichte. Der niederländische Schriftsteller Maarten ‘t Hart hat diesen Gerichtsgedanken schon als Zwölf- oder Dreizehnjähriger ausgehebelt. In seiner Familiengeschichte „Magdalena“ stellt er folgende Überlegungen an: „Wenn alle Menschen, die jemals gelebt haben, der Reihe nach abgeurteilt werden müssen, haben wir es mit einer Aufgabe von beispiellosem Umfang zu tun. Selbst wenn man für jedes Urteil nur eine Stunde veranschlagt, dauert es rund anderthalb Millionen Jahre.“ (1)

Sein Fazit: So etwas wie ein Jüngstes Gericht kann es nicht geben. Auch keine göttlichen Mega-Speicher, die alles über mich festhalten und mich am Ende gläsern machen. Die mein Soll und Haben, mein Gelingen und Versagen gegeneinander aufrechnen und mir dann mein Urteil zukommen lassen. Nicht nur bei dem kleinen Maarten regt sich da Widerspruch. Bei mir auch. Dennoch bleiben Fragen. Bekommen die Opfer zumindest am Ende ihr Recht? Was wird aus den Verursachern grausamer Verbrechen, den Kriegshetzern? Was wird aus denen, die zeitlebens auf Kosten anderer gelebt haben? Was wird aus mir mit alldem, wie ich gelebt habe?

Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: „Von dort“ - nämlich vom Himmel – „wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten!“ Gemeint ist Christus, dem diese Aufgabe des Richtens zugeschrieben wird. Nirgends ist sie besser aufgehoben, denke ich. Indem Gott menschlich wird, lässt er den Menschen nicht außen vor. Damit ist mein Urteil doch längst gesprochen. Ich stehe in einer Reihe mit allen, für die gilt: In diesem Gericht Gottes, fällt am Ende niemand durch die Maschen. Auch wenn es nicht egal ist, wie jemand gelebt hat. Als Schurke oder als Verbrecher. Als Wohltäterin oder als Wohltäter. Als Mensch, der sein Leben zugunsten anderer riskiert hat. Wie das geht? Ich weiß es nicht. Aber dass am Ende die Gerechtigkeit die Oberhand behält, da bin ich mir ganz sicher. Weil Christus dieses Richteramt innehat. Und die Welt zurechtbringt. In aller Unterschiedlichkeit. Auch der zwischen Tätern und Opfern.

Auf diese Einsicht brauche ich keine eineinhalb Millionen Jahre zu warten. Sie verändert mein Leben schon heute. Weil Gottes Richten meinem Menschsein seine Würde gibt. Mich menschlich macht. Und mich leben lässt.

(1) Maarten ‘t Hart, Magdalena. Eine Familiengeschichte

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