SWR2 Wort zum Tag

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18NOV2021
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Ein Grenzübertritt: Eigentlich keine große Sache in unserer globalen Welt: Meist bemerkt man das gar nicht mehr. In vielen Nachbarländern meist sogar noch dieselbe Währung, in manchen dieselbe Sprache. Nur die Straßenschilder haben eine andere Farbe. Seit Beginn der Pandemie ist diese Selbstverständlichkeit plötzlich in Frage gestellt! Doch wieder: Ausland! Risikogebiet. Geschlossene Unterkünfte wegen Corona. Kurzzeitig vereinzelt sogar wieder Absperrungen. Und ich habe die Landesgrenzen eineinhalb Jahre lang nicht mehr übertreten.

Unlängst war ich doch wieder in einem unserer Nachbarländer. In Frankreich. Gar nicht weit weg. Aber eben zum ersten Mal wieder seit Beginn der Pandemie. Ohne besondere Vorkommnisse zwar. Aber trotzdem: Irgendwie war dieses Mal alles anders. Ein wenig jedenfalls. So wie es sich eben anfühlt, wenn das ganz Alltägliche nicht mehr selbstverständlich ist. Ein wenig Fremdheit. Allein schon der anderen Sprache wegen. Ein wenig Staunen über das, was doch anders ist: im Restaurant, im Museum, auch bei den Regeln im Umgang mit Corona.

Jesus war ein begeisterter Grenzüberschreiter. Auch im Blick auf Landesgrenzen. Von Galiläa nach Jerusalem. Nach Samarien. In die Dekapolis, das Land der Zehn Städte. Und nicht selten thematisiert er diesen Grenzübertritt. Erweitert ihn vom Geographischen ins Programmatische. Wagt sich nach Jerusalem, obwohl er weiß, dass es ihn sein Leben kosten wird. Weitet einer Frau aus Samaria den Blick auf das, was ihren Durst nach Leben wirklich stillt. Befreit einen Mann aus dem Land der zehn Städte von seiner psychischen Krankheit.

Ein Grenzüberschreiter war Jesus aber auch, ohne Landesgrenzen zu überschreiten. Den Armen gilt seine bedingungslose Zuwendung. Den verachteten Zolleinnehmern. Den Frauen, die in der Gesellschaft am Rande standen, ob wegen ihrer Krankheit oder weil sie Prostituierte gewesen sind. Diese Grenzüberschreitungen haben Menschen aus der bisherigen Spur ihres Lebens herausgerissen. Und zu einer neuen Haltung, zu einem neuen Verhalten gebracht.

Solche Grenzen zu überschreiten, kann ich auch im eigenen Land üben. Am eigenen Wohnort. Im eigenen Bekanntenkreis. In der Familie. Einfach einmal aussteigen aus vertrauten Rollenzuweisungen. Kein „Du machst das immer so!“ Oder „Nimm dich mal nicht so wichtig!“ Ein Grenzübertritt aus meiner eingeübten Erwartungshaltung hin zur Bereitschaft, mich von einem Menschen überraschen zu lassen. Und das vermeintlich Fremde als Bereicherung zu sehen. Da komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

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