SWR4 Abendgedanken

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12NOV2021
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„Da ist ein Sprung, ein Riss in allem, doch so kommt das Licht herein“  – so heißt es in dem Lied „Anthem“ von  Leonhard Cohen, wenn ich es übersetze.

Da ist ein Riss in allem – wenn ich das auf mich selbst beziehe, möchte ich das nicht so gerne wahrhaben. Lieber möchte ich doch ganz und heil sein, gesund an Leib und Seele und versorgt mit allem, was ich zum Leben brauche.

Doch die Erfahrung sagt, dass es so nicht ist. Krankheit gehört zum Leben, auch Schuld, Versagen, Abschiede. Wenn es einen Riss in meinem Leben gibt, möchte ich ihn gerne erst einmal verstecken. Und doch heißt meine Erfahrung: Sobald der Riss angenommen wird, hat er eine Chance zu heilen, kann er Licht hinein lassen.

Ich konnte das in den vergangenen Wochen im Freundeskreis miterleben:
Ein guter Freund fühlte sich an seiner Arbeitsstelle sehr unwohl und war unzufrieden. Er verlor seine gute Laune, nichts machte ihm mehr richtig Freude. Er überlegte, die Arbeit zu wechseln, hatte aber auch Angst vor der Arbeitslosigkeit.  Als die Entscheidung zur Kündigung endlich gefallen war, war er wie ausgewechselt: Fröhlichkeit und Kreativität kamen wieder. Die kurze Arbeitslosigkeit war ein Riss im Lebenslauf, aber dadurch wurde Neues möglich und  die Lebensfreude kam zurück.

Gute Freunde von uns haben sich nach langer Ehe getrennt. Das ist ein richtig großer Riss. Noch ist nicht sichtbar, wie das Licht dort einen Weg findet zur Heilung und zur Hoffnung. Noch hilft nur das Vertrauen darauf, dass es Licht gibt.

Im dunklen Monat November zünden wir gerne Kerzen an. Ihr Licht ist warm und tröstlich. Und es erinnert uns daran, dass es in aller Dunkelheit Licht gibt – auch wenn wir es manchmal nicht sofort sehen.

Für mich ist die Aussage „Ich bin das Licht der Welt“ von Jesus wichtig. Sie trägt mich durch schwere Zeiten, wenn es nur den Riss zu geben scheint: wenn ich mich einsam und allein fühle, wenn Projekte platzen, wenn gerade gar nichts klappt oder Beziehungen einen Riss bekommen.

Dieses Licht darf ich in mein Leben lassen, aber ich muss dafür die Tür aufmachen. Vor Gott muss ich keine Fassade wahren, sondern ich darf meine Ängste und Sorgen zulassen, mir zugestehen, dass nicht alles heil und ganz ist. Dann kommt auch den schwierigen Zeiten das Licht in mein Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34262
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