SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

31OKT2021
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Im Mai des Jahres 1720 beschrieb die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans ein ungewöhnliches Mittel gegen ihreSchlaflosigkeit. Die Herzogin ist bekannt unter dem Namen Lieselotte von der Pfalz. Drei Nächte hintereinander habe sie kein Auge zu machen können. Das Rheuma raube ihr den Schlaf und dann -was noch viel schlimmer sei- habe sie sich vor allem noch tausend Sorgen um ihre Kinder und ihre Familie machen müssen, schreibt sie in einem ihrer Briefe. Selbst ihr Arzt sei hilflos. Und dann bemerkt sie:

Da fiel mir das bewährte Mittel meines Vaters ein. Sogleich bestellte ich eine Kutsche und ließ mich ins nächste Kloster zum Gottesdienst fahren. Kaum hatte der Priester die ersten Worte gesprochen, da sank ich schon in den Schlaf. Drei Stunden dauerte der Gottesdienst, und ich erwachte erst, als der Priester zu Ende war. Ich fühlte mich wie neugeboren, mein Kopf war frei und meine Beine die einer jungen Frau.“

Ein Gottesdienst als Schlafmittel!? Die Herzogin fühlte sich in der ihr vertrauten Kirche geborgen. Der Gottesdienst bestärkte in ihr das Gefühl bei Gott zu sein und zur Ruhe kommen zu dürfen. Trotz all ihrer Sorgen. All den Erwartungen an Sie als Monarchin, Ehefrau und Mutter. In der Kirche musste sie nichts tun und brauchte nicht perfekt zu sein. Hier konnte sie ganz einfach loslassen und abschalten.  

Zur Ruhe kommen. Leichter gesagt als getan. Wer kennt sie nicht diese quälenden Fragen vor dem nicht einschlafen können. Fragen, die mich beschäftigen. Auch tagsüber.

Habe ich heute alles richtig auf der Arbeit gemacht? Bin ich für meine Kinder ein guter Vater? Eine gute Mutter? Schaffe ich all die Anforderungen, die mir morgen wieder gestellt werden? Den Spagat zwischen Beruf und Familie.

Als Jesus lebte war das alltägliche und religiöse Leben bis ins Detail genauestens geregelt. Die Menschen lebten in Angst etwas vor Gott, oder im Zusammenleben mit ihren Mitmenschen falsch zu machen. Deshalb gab es neben den zehn Geboten weitere 634 Gesetze. Hinzu kamen unzählige Einzelvorschriften, Auslegungen und Konkretisierungen. Wie erfülle ich Gottes Wille? Bin ich gut genug? Mach ich alles richtig? Diese Frage quälte die Menschen bei Tag und in der Nacht. Eine Lösung sahen viele nur in der peniblen Einhaltung aller Gebote. Auch Jesus stellt die Gebote nicht grundsätzlich in Frage. Aber er erinnert an ihren tieferen und eigentlichen Sinn. Und das kann ganz schön entlastend sein.

 

Eine Geschichte aus der Bibel, die heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgelesen wird, erzählt, wie fromme Gesetzeslehrer Jesus einmal auf die Probe stellen wollten und ihn angesichts der vielen Regeln mit einer Fangfrage konfrontierten: Jesus sag uns, welches Gebot in all den Gesetzen ist das Wichtigste? Jesu Antwort ist souverän: "Du sollst deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Für Jesus ist klar. Dort wo Menschen Gott die Treue halten und ihre Mitmenschen so achten, wie sie selbst geachtet werden wollen, werden alle Vorschriften, Verbote und Gesetze überflüssig. Weil sie dann erfüllt sind.

Das war eine ganz neue Lehre und befreite die Menschen damals aus ihren Zwängen und Ängsten. Ihre quälende Frage, wie sie Gottes Willen im Leben erfüllen, bekam durch Jesus eine ganz einfache Antwort. Eben alleine durch die Liebe. Das genügt.

Das genau feiern heute evangelische Christen am Reformationstag. Die Katholiken sollten ihn mitfeiern. Denn auch ein Martin Luther wurde in jungen Jahren von Ängsten und Zwängen gequält. Ja vor Gott nichts falsch zu machen, das war seine Hauptsorge. Er meinte sich durch möglichst viele gute Werke und Gebete Gottes Nähe verdienen zu können. Das bereitete ihm nicht nur schlaflose Nächte. Denn nie fühlte er sich gut genug. Luther hatte furchtbare Angst vor dem strafenden Gott, der nach dem Tod über den Menschen Gericht hält. All das führte ihn und seine Zeitgenossen in die Verzweiflung und Depression. Erst langsam kam er zum Glauben, dass er bei Gott überhaupt nichts vorweisen muss. Weil Gott immer da ist. Bei allem was wir tun. Und weil er uns gerade dann nahe ist, wenn wir nicht alles 100%ig machen. Uns buchstäblich liebevoll unter die Arme greift.

Bei allen Geboten und Verboten das Wichtigste nicht vergessen. Nämlich das allein die Liebe zählt und Gott uns liebt. Egal was wir machen. Wir dürfen trotz all den Sorgen und Anforderungen zur Ruhe kommen. Daheim. Im Gottesdienst. Wo auch immer. Heute am Sonntag. Vielleicht bei einem langen Mittagsschlaf. Das wünsche ich Ihnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34225
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