Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30OKT2021
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Wissen Sie, warum ich Halloween liebe? Weil es das Tempo ein bisschen abbremst, mit dem das Weihnachtsgeschäft Fahrt aufnimmt. Wenigstens bis Ende Oktober ist mit Kürbissen und Horror-Kram ein Geschäft zu machen. Danach ist der Weihnachtsmann nicht mehr aufzuhalten.

Morgen ist Halloween - und nein - ich werde mich jetzt nicht aufregen, dass eigentlich ein evangelischer Feiertag ist: das Reformationsfest - auch, wenn ich meine Kirche vertrete. Beides steht eben nebeneinander: die Erinnerung an einen Neuanfang in der Kirche und gleichzeitig der Beginn der dunklen Jahreszeit. Es ist Ende Oktober, das Jahr ist bald zu Ende. Es ist zu spüren, dass alles ein Ende hat: jeder Sommer und jedes Leben. Da sind viele Fragen, viele Gefühle: Angst, Unsicherheit, Sehnsucht, Abschied, Liebe, vielleicht sogar Grauen - wie ein Nebel, gespenstisch und diffus. Es wird vielleicht ein bisschen einfacher, wenn man damit spielt, Rübengeister schnitzt und sich verkleidet.

Andererseits: Die zwei Jahre, die hinter uns liegen, bremsen das wohlige Gruseln auch aus. Zurecht. Ich finde, durch Corona ist es wieder viel greifbarer geworden, wie zerbrechlich das Leben ist. Und wer durch eine Krankheit oder ein Unglück einen lieben Menschen verloren hat - vor der Zeit und unerwartet - dem ist wahrscheinlich nicht nach Gruseln zu Mute. Und nach Weihnachten sicher auch nicht und nach dem ganzen Trubel drum herum.

Irgendwie fühlt es sich für mich komisch an, dass in den Geschäften alles aussieht wie immer: erst Plastikspinnen, dann rote Kerzen und Adventskalender. Ganz normal, wie früher. Aber letzten beiden Jahre waren eben nicht normal. Sie waren traurig. Die ganze Gesellschaft hat sich verändert und es gibt Streit. Immer noch herrscht Angst, außerdem die Abstandsregeln und 3G. Wie sollte da alles wieder normal werden?

Ich denke, das sollte es gar nicht. Weihnachten wollte doch gar nie normal sein. Halloween und Allerheiligen übrigens auch nicht. Sich der eigenen Vergänglichkeit zu stellen ist nicht einfach so normal - das kostet Mut und ist anstrengend. Und Weihnachten? Das Fest der Liebe? Das wollte schon immer die Grenzen des Normalen sprengen! Uns rausholen aus dem „Normal“: dass das Leben eben ist, wie es ist - dass es vergänglich ist - dass es immer wieder neue Katastrophen geben wird. So ist es eben. Weihnachten ist nicht normal. Das war es nie. Weihnachten ist eine Hoffnung. Die Hoffnung, dass unsere Vergänglichkeit, Corona und all die anderen Katastrophen, nicht das Normale bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34144
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