Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25OKT2021
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Ich bin vor kurzem umgezogen - vom Land in die Stadt. Gleich nebenan von mir eine Baustelle, und ich muss sagen: Es ist mir zu laut. Der Krach geht mir auf die Nerven: Noch zwei Baustellen auf dem Weg zum Bahnhof. Lautsprecherdurchsagen, verspätete Züge. Fahre ich stattdessen mit dem Auto, blendet mich die tiefstehende Herbstsonne - und ja: nach einem vollen Tag ist mir sogar die Sonne zu laut!

Es ist mir natürlich nicht einfach zu laut. Es ist mir zu viel. Ich habe viel um die Ohren: Telefon, Mails, Besprechungen, Haushalt, Nachrichten - vielen geht es genauso wie mir.
„Viel um die Ohren haben“ - ein treffendes Sprichwort. Das meiste prasselt tatsächlich übers Hören auf uns ein. Und so höre ich Leute immer wieder sagen, dass sie abends am liebsten ihre Ruhe haben. So geht’s mir auch: Tür zu und -(Pause)- Fernseher an. Der dudelt dann den ganzen Abend. Bei Freunden ist es das Radio.

In letzter Zeit ist mir aufgefallen, wie verrückt das ist: Ich übertöne den Alltagslärm mit Krach. Tagsüber sind tausend Geräusche und Infos durch die Ohren in mein Hirn gewandert, und da drin ist es einfach laut. Jetzt bloß keine echte Stille - ich könnte mich ja selbst denken hören!

Fernseher aus - sage ich mir mittlerweile ganz bewusst - etwa eine halbe oder ganze Stunde vor dem Schlafengehen. Und morgens erst einmal zehn Minuten in Ruhe hinsetzten - ohne Radio oder Handy, riskieren, dass ich meine eigenen Gedanken höre. Mein Gott, ist es laut da drin. Es ist zu viel. Höchste Zeit, dass ich das merke.

Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir das merken - in unserer Gesellschaft. Es kann zu viel werden, an den unterschiedlichsten Stellen des Lebens. Beruf, Familien-Termine usw. Woran man z.B. allein schon beim Einkaufen denken soll: Regional einkaufen oder Bio - oder beides? Inhaltsstoffe vergleichen, Protein-Booster essen? Vegan, weizenfrei, fair gehandelt, Sonderangebote, Handy-Apps für Supermärkte, Pop-Ups, Punkte sammeln, … Es ist zu laut! Ruhe. Ich will mich denken hören. Ich will nachdenken und entscheiden, was wichtig ist, und was weg kann.

Ich möchte mich hier an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf die Suche machen: Was ist wichtig und was kann weg? In meinem Kopf sollte es nicht dröhnen, weil ich so viel um die Ohren habe. Die Baustelle gegenüber sollte mich nicht aus der Fassung bringen können. Und wenn die Sonne blendet, fahre ich ein bisschen langsamer, ziehe ich meine Sonnenbrille auf und fahre dem Sonnenuntergang entgegen.

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