SWR2 Wort zum Tag

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05OKT2021
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Der Philosoph Michel Foucault hat sich mit besonderen Orten beschäftigt, er nennt sie AndersOrte, oder wissenschaftlich: Heterotopien. Diese Orte sind wie Fremdkörper in einer Stadt, zugleich haben sie für die Gesellschaft eine besondere Bedeutung. Als Beispiele für solche AndersOrte nennt Foucault Gefängnisse, Gärten oder auch Klöster.

In der Tat: Wer nicht völlig abgestumpft ist, spürt die besondere Atmosphäre solcher Orte. Man kann sich ihr kaum entziehen, selbst wenn man es wollte. Ich kann mich noch sehr gut an die leibhaftige Beklemmung erinnern, als wir während unserer Ausbildung im Vikariat mit dem Gefängnisseelsorger eine Justizvollzugsanstalt besucht haben. Jedes Gefängnis ist wie eine Sonderwelt und stellt Anfragen an die Gesellschaft.

Dagegen ist jeder schön gestaltete Garten wie ein kleines Paradies, wo Pflanzen, Tierlein und Menschen zur Ruhe kommen können. Und was die Klöster betrifft: Gerade erst habe ich während zehntägiger Schweigeexerzitien erfahren, wie wohltuend die besondere Atmosphäre eines Klosters sein kann. Jetzt bin ich evangelisch und nicht der Auffassung, dass man als Mönch oder Nonne ein heiligeres Leben führt als ein Busfahrer oder eine Grundschullehrerin. Trotzdem glaube ich, dass auch die Busfahrerin oder der Grundschullehrer spirituelle Kraftorte gut gebrauchen können. Bestimmt leisten die Menschen, die ein Kloster pflegen und aufrechterhalten, einen wichtigen Beitrag, jedenfalls, wenn sie es Menschen ermöglichen, dieses Klosterleben auf Zeit zu teilen. Sie halten spirituelle Orte vor, die es ohne sie nicht gäbe. Ich habe in meinen Exerzitien erlebt, wie einen die Ruhe und Stille eines Klosters in die Tiefe führen kann. Die Seele jedes Menschen braucht einen eigenen Resonanzraum, um zum Klingen zu kommen. Das kann theoretisch natürlich überall passieren. In der Praxis machen viele Menschen die Erfahrung, dass es in einem Kloster einfach besser funktioniert. Das liegt auch daran, dass wir leibliche Menschen sind, die Orte brauchen, um leben zu können. Doch wir brauchen eben nicht nur irgendwelche Orte, sondern - auch - diese besonderen, kraftvollen Orte. Übrigens: Es gibt auch evangelische Klöster!

Und es ist natürlich kein Zufall, dass zu den meisten Klöstern ein sorgfältig gestalteter Garten gehört, oft in einem Kreuzgang. So kombinieren sich zwei Heterotopien: Das Kloster und der Garten. Das verstärkt den Effekt.

Wenn übrigens kein Kloster zur Hand ist, kann man ersatzweise die Erfahrung der Tiefe auch im eigenen Garten suchen und hier erleben, wie die eigene Seele Flügel bekommt - und Tiefe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34020
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