Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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23SEP2021
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„Du guter, allmächtiger und getreuer Gott“ – diese Worte gehen mir in letzter Zeit beim Beten mit der Gemeinde nur schwer über die Lippen. Ich habe die Klage so vieler Menschen im Ohr, deren Existenz in der Sturzflut abgesoffen ist, und die vergeblich nach Gott geschrien haben. Gut, allmächtig, getreu? Es ist die uralte Frage nach Gott – sie steigt aus Kriegszonen,  Elendsquartieren und Katastrophengebieten der Welt zu Gott empor. Sie liegt bleischwer auch hierzulande über Krankenbetten und den Gräbern allzufrüh verstorbener Menschen.  

Mit der Frage nach Gott haben sich schon die Menschen in biblischen Zeiten herumgequält. Aus einem bricht es vorwurfsvoll heraus: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist ferne meinem Schreien und meiner Klage. Ich rufe zu dir, doch du gibst keine Antwort“ (Psalm 22,2). Jesus selbst schreit mit diesen Worten in seiner Todesstunde zu Gott, den er seinen Vater nennt. Warum, warum? So sehr wir unser Gehirn zermartern, unsere grauen Zellen finden einfach keine Antwort auf Leid und Tod. Logik und Verstand kapitulieren. Kopfmenschen, die wir sind, tut eine so ernüchternde Erkenntnis weh!

Die Klagepsalmen der Bibel führen auf eine andere Spur: Auch da weinen sich die Menschen aus, schütten ihr Leid vor Gott hin, fragen vergeblich nach dem Warum. Aber dann geschieht fast ein Wunder: Die Verzweiflung der Klagenden bricht durch zur flehentlichen Bitte. Als würde sie die Betenden verändern, finden diese plötzlich wieder zurück ins Vertrauen. „Du hast meine Klage in einen Reigen verwandelt, mein Trauergewand gelöst und mich mit Freude umgürtet“ jubelt einer der Geplagten (Psalm 30,12).

Wenn ich mal wieder richtig durchhänge und mir alles zu viel wird, tröstet mich ein Wort beim Propheten Jesaja. „Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen“, klagt das Volk Israel, das mit seinem Latein wieder mal am Ende war. Aber dann legt der Prophet Gott diese Trost-Worte in den Mund – sie sind Balsam auch für unsere leidgeprüften Seelen: „Kann denn eine Mutter ihr Kindlein vergessen? Selbst wenn: Ich vergesse dich nicht“ (Jesaja 49,15-16).

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