SWR1 Begegnungen

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19SEP2021
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Pfarrer Egbert Schlotmann Fotonachweis: Manuela Pfann

… und mit Egbert Schlotmann. Den Mann im kurzen, karierten Hemd mit braungebrannten Armen treffe ich zwischen Sandstrand und Fischbrötchenbude. Dort, wo andere Urlaub machen, ist sein Arbeitsplatz. Seit fünf Jahren ist Egbert Schlotmann Pfarrer auf der Nordseeinsel Wangerooge. Auf dem Vorplatz der Kirche stehen weiße Strandkörbe und im Altarraum finde ich Fischernetze, große Steine und angeschwemmtes Holz. So habe ich mir Kirche im Urlaub tatsächlich vorgestellt. Aber nicht nur was ich sehe, hat mit einer klassischen Kirchengemeinde, wie ich sie kenne, wenig zu tun. Pfarrer auf einer Urlauberinsel zu sein ist ganz anders:

Wir haben jede Woche neue Leute. Ich kenne viele Leute gar nicht. Die kleine Gemeinde, wir sind hier nur 250 Katholiken, die ist natürlich davon geprägt, dass gerade so in der Hochsaison ganz viele Menschen kommen. Jeder Tag ist wirklich ganz anders, weil es wirklich sowas wie Ebbe und Flut gibt. Auch bei den Menschen, die kommen und gehen mit ihren unterschiedlichen Ideen mit ihren unterschiedlichen Wirklichkeiten.

Und es sind Viele, die da kommen und gehen: In den Sommermonaten sind jeden Tag rund 8.000 Gäste auf der Insel bei gerade einmal 1.300 Einwohnern. Wer von ihnen bei den Angeboten der Urlauberseelsorge auftaucht, das weiß Egbert Schlotman im Voraus nie. Wie kann Seelsorge unter diesen Umständen funktionieren, frage ich ihn:

Also ich muss gucken, dass ich Gottesdienste so plane, dass die wirklich ganz frei gestaltet werden, dass wir Angebote machen, die so frei gestaltet sind, dass da auch wirklich Jung und Alt kommen können und Menschen kommen können, von denen wir vielleicht vorher nicht wussten, dass sie da sind.

Und deshalb heißt Kirche auf Wangerooge auch: Flaschenpost basteln für Kinder, Sonnenaufgang fotografieren, Nachtwanderung für Jugendliche. Spaziergang auf dem Seelenpfad durch die Dünen oder Impulse für eine gelingende Partnerschaft. Gottesdienste gibt es natürlich auch. In der Kirche, aber auch regelmäßig am Strand oder an besonderen Orten, wie am kleinen Flughafen oder am Inselbahnhof. Diese Angebotsfülle ist für Egbert Schlotmann alleine nicht zu stemmen. Und das will er auch gar nicht. Kirche sein ist für ihn Teamarbeit. Deshalb ziehen während der Schulferien Ehrenamtliche aus ganz Deutschland ins Bildungshaus der Gemeinde ein und gestalten gemeinsam das Programm. Das Ziel dabei:

Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, in Begegnung, Beziehung zu bringen. Wir haben hier unterschiedliche Generationen, wo wir wirklich noch einmal Kirche im Kleinen stattfinden lassen können. Im Kleinen stattfinden lassen können heißt natürlich auch, es ist nicht nur ein Macher da, es sind viele, viele Engagierte dabei, die ihre Talente, ihre Begabung einbringen.

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Egbert Schlotmann ist katholischer Pfarrer. Um seinen Arbeitsort beneide wahrscheinlich nicht nur ich ihn. Der 58-jährige ist Seelsorger auf der Nordseeinsel Wangerooge. Für die rund 1.300 Insulaner ist er ebenso ansprechbar wie für die jährlich zehntausenden Urlauber. Am Strand genau so wie in der Kirche. Und es sind viele Gespräche, die er übers Jahr mit den Urlaubern führt. Oft über ganz existenzielle Themen.

Urlaubsseelsorge ist einfach die Chance, dass Menschen frei sind, ohne dass die Arbeit hinter ihnen steckt, ohne dass da irgendwie ein Muss dahintersteckt. Sie können wirklich ganz frei hier sein. Und manche kommen gerade auch in der Urlaubszeit mit ihren eigenen Fragen nochmal stärker in Verbindung. Das erlebe ich bei vielen Einzelgesprächen, dass gerade so Fragen, wie Sinn des Lebens, Frage nach, was mache ich aus meinem Leben? Wie gehe ich weiter? All diese Fragen tauchen noch mal verstärkt im Urlaub auf.

Die Insel selbst ist für den Seelsorger bei seiner Arbeit nicht nur traumhafte Kulisse. Für ihn sind manche Orte auf der Insel ein Geschenk, weil sie auf ihre Weise zu spirituellen Orten geworden sind:

Ein Ort ist natürlich der Leuchtturm, mitten auf der Insel, der ja nicht mehr den Sinn hat, den er früher hatte. Er bekommt jetzt den Sinn, dass da Paare sind, die sich ihr Ja-Wort geben, also gleichgeschlechtliche Paare und andere Paare, die sagen, wir wollen unser Ja-Wort hier gegeben. Und ich als Kirche werde manchmal dann darauf angesprochen: „Gibst Du uns hier den Segen?“ Und das mache ich dann gerne auch, dass ich dort den Segen gebe. Und das finde ich etwas ganz Zentrales und das ist für mich ein spiritueller Ort.

An diesem Ort spürt Egbert Schlotmann ganz besonders das Dilemma, in dem seine Kirche sich befindet. Aus Rom kommt nach wie vor ein klares „Nein“ bei Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare oder für Menschen, die ein zweites Mal heiraten. Viele Urlauber sagen ihm auch ganz direkt, dass es für sie schwierig ist mit der Kirche.

Von Vielen weiß ich, dass die daheim derzeit wirklich wenig Kontakt haben, weil Kirche ja auch nicht mehr so unbedingt den guten Ruf hat. Also Kirche ist vielleicht nicht mehr unbedingt das Wort, aber Spiritualität ist weiterhin das Wort. Es wird ganz stark getrennt zwischen Kirche und dem, was der einzelne Mensch an Sehnsüchten hat.  

Und das ist es, wie Kirche in seinen Augen für die Menschen da sein könnte. Auf Wangerooge und anderswo:

„Dem Leben Orientierung und der Sehnsucht Raum geben“ ist ja unser Wort hier von der Gemeinde her seit einigen Jahren und das finde ich ganz entscheidend. Was brauche ich, was benötige ich, um wirklich dieses Leben auch meistern zu können?

 

https://www.st-willehad.de/urlauberseelsorge

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33936
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