SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

12SEP2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Gestern vor 20 Jahren haben Terroristen das World Trade Center zum Einsturz gebracht. Fast 3000 Menschen sind damals gestorben. Ich weiß noch, wie ich an diesem Tag aus der Schule kam und meine Mutter gesagt hat: „Das World Trade Center ist weg.“ Am nächsten Tag in der Schule war mein amerikanischer Klassenkamerad kaum ansprechbar, so geschockt war er. Die ganze Schülerschaft ist zu einer Schweigeminute aufgestanden. Und ein paar Tage später haben wir eine Friedensmahnwache auf dem Schulhof gehabt.

Damals ist mir zum ersten Mal klargeworden, dass meine eigene Zukunft bedroht sein könnte. Mein Gefühl von Sicherheit hat einen Knacks bekommen und mein Vertrauen in die Menschen auch.

Und ich glaube, das ging nicht nur mir so. Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückblicke dann sehe ich: Mit jeder neuen Krise wird der Ruf nach Sicherheit lauter. Öffentliche Plätze werden videoüberwacht, die Kontrollen an Flughäfen haben sich verschärft – alles um sich vor mögliche Gefahren durch andere Menschen zu schützen. Offensichtlich fällt es nicht leicht anderen Menschen zu vertrauen.  Seit 20 Jahren – so ist mein Eindruck – wird Sicherheit immer wichtiger. Vertrauen immer schwerer.

Aber das geht nicht spurlos an den Menschen vorbei. Ich merke das vor allem bei den jungen Leuten, mit denen ich arbeite. Vor kurzem habe ich Jugendliche zwischen 14 und 21 in einem Lehrgang begleitet. Unter anderem haben wir das Thema Kindeswohl behandelt. Dazu gehört auch, zu erklären, was Kinder und Jugendliche brauchen, um an Leib und Seele gesund aufzuwachsen. Ein wichtiger Punkt auf der Liste: vertrauensvoller Umgang mit anderen Menschen. Pedro, 19 Jahre alt, hat reingerufen: „Ja, das ist natürlich super möglich in unserer Generation.“ Er ist richtig aufgebracht gewesen und hat seiner Angst in diesem kurzen Moment Raum gegeben. Und dann hat er erklärt: „Wie sollen wir denn Vertrauen in andere Menschen haben? Überall erlebe ich Misstrauen. Außerdem: Wir erben die Welt in einem sehr schlechten Zustand – und obwohl die Zuständigen immer wieder behaupten, dass sie etwas ändern bin ich mir nicht sicher, dass sich wirklich was tut.“

Seit dem Gespräch mit Pedro frage ich mich: geht das überhaupt: Vertrauen ohne Sicherheit? Menschen brauchen vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen um gesund an Leib und Seele zu bleiben. Wie kann das gelingen, wenn ich mir nicht sicher sein kann ob sie mein Vertrauen verdient haben. Ob sie halten was sie versprechen. Ob sich was ändert, zum Guten.

 

Jesus hatte von seinen Jüngern gefordert: „Vergebt einander. Und wenn einer Dir sieben Mal am Tag etwas tut und immer neu versichert „Ich ändere mich“ – dann vergib auch sieben Mal.“

Das ist ein ganz schöner Anspruch: immer vergeben. Immer wieder neu vertrauen. Selbst dann noch, wenn ich 7 Mal enttäuscht werde. Selbst dann, sagt Jesus ist es wichtig zu vertrauen. Darauf, dass der andere sich ändert. Darauf, dass die Zukunft anders – besser werden kann.nDie Jünger hören das und bitten Jesus deshalb: „Stärke unseren Glauben!“
Im griechischen Text steht für das Worte Glaube ein Wort, das auf Deutsch Vertrauen, aber auch Sicherheit und Verlässlichkeit heißen kann.

Wenn ich mir die Jünger jetzt vorstelle, dann denke ich: sie haben sich Sicherheit gewünscht. Sie wollten sein wie Jesus. Sie wollten sichergehen, dass sie das mit dem Vergeben auch schaffen. Verlässlichkeit.

Aber Jesus macht ihnen klar: 100prozentige Sicherheit gibt es nicht. Auf andere Menschen zu zugehen bleibt immer auch ein Wagnis. Auf seiner Wanderschaft hat er immer wieder Menschen getroffen, die sich in der Not an ihn gewandt haben. Mit der Bitte, gesund zu werden. So stellt sich Jesus Glauben vor: Als tiefes Vertrauen. Glauben heißt für ihn: immer wieder Vertrauen zu wagen. Selbst dann, wenn ich 7mal enttäuscht wurde. In der Zeit mit Jesus, so stelle ich mir das vor, haben die Jünger genau das geübt.

Und heute: Auch heute muss man das üben, fürchte ich. Immer wieder. Und wie das gehen kann, das sehe ich auch bei den jungen Leuten, mit denen ich arbeite. Ich habe über den Unterschied zwischen Sicherheit und Vertrauen mit Pedro, gesprochen. Er hat gesagt: „Mein Glaube gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Auch, wenn es manchmal schwer ist. Mein Glaube hilft mir zu vertrauen. Ohne Angst auf Menschen zu zugehen. Aber auch Vertrauen zu haben in diejenigen, die in der Politik Entscheidungen fällen. Darauf, dass sie zuhören und sich überzeugen lassen.“

Pedro engagiert sich politisch. Er tritt ein für das woran er glaubt. Und dafür, dass sich was ändern kann – zum Guten.  
Ich kann das nur empfehlen: Denn, Vertrauen ist wichtig um gesund zu bleiben an Leib und Seele. Das gilt nicht nur für Kinder, sondern in jedem Lebensalter. Ich wünsche Ihnen immer wieder den Mut zu vertrauen – selbst wenn sie 7x enttäuscht worden sind.

Ich glaube so kann sich noch 20 Jahre nach dem Anschlag auf das world trade center etwas zum Guten wenden.
Ich wünsche Ihnen einen vertrauensvollen Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33899
weiterlesen...