Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10SEP2021
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„Und es kam der Tag, da das Risiko in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde als das Risiko zu blühen“

Dieser Satz der Schriftstellerin Anais Nin treibt mich um. Vielleicht weil er mich an einem wunden Punkt erwischt. Denn in letzter Zeit frag ich mich immer wieder, ob ich die Knospen in meinem Leben zum Blühen gebracht habe, ob ich meine Gaben auch wirklich genutzt habe oder eben nicht, oder eben zu wenig? Aus Angst, nicht gut genug zu sein…oder aus Scheu, mich damit ins Rampenlicht zu stellen?

Teile ich meine Gaben die mir von Gott gegeben sind freigiebig oder halte ich sie - warum auch immer - zurück? Leb ich das Leben, das ich leben könnte?

Wo verharre ich im Zustand der Knospe anstatt etwas zum Blühen zu bringen? Was hindert mich daran, mich zu entfalten? Oder gibt´s da vielleicht nichts mehr in mir, das blühen könnte?

Vielleicht sind diese Fragen mit zunehmendem Alter normal – vielleicht sind sie sogar wichtig. Nicht zur Nabelschau, sondern um den eigenen Lebensauftrag zu erfüllen. Und das Gebot der Nächstenliebe, das dazu auffordert, seinen Nächsten zu lieben - Und nicht nur den Nächsten sondern auch sich selbst.

Genau darum geht es in einem Text von Ulrich Schaffer, den ich sehr berührend finde.  

Er schreibt:

„In dir,
parallel zu deinem Leben,
liegt ein anderes Leben.
Es hat sich still verhalten
und ist mit dir zusammen älter geworden.
Es hat sich nicht aufgedrängt
und nicht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Es hat auf den richtigen Augenblick gewartet.
Dabei ist seine Sehnsucht gewachsen.
Sie ist immer dichter geworden,
immer erfüllter und brennender.
Du hast sie gespürt,
hast versucht sie zu erfüllen,
bist ängstlich zurückgewichen.
Vielleicht spricht es jetzt.
Es tut sich immer eine Tür ins Leben auf.
Jeder Tag ist eine Tür.
Sogar das Versäumte hat noch eine Chance,
wenn du auf diese Stimme hörst,
die dich in das Haus deines Lebens führen will,
in dem du endlich
– wie lange wolltest du es schon? –,
dich dir zukehrst wie ein Mensch,
der sich liebt.“
(„Wie ein Mensch, der sich liebt“, Ulrich Schaffer)


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