SWR1 3vor8

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29AUG2021
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Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr beginnt in Klöstern das erste Gebet des Tages mit den Worten: „Herr, öffne meine Lippen…“.

Immer wenn ich ein Kloster besuche, sprechen mich diese ersten Worte an.
Sehr früh am Morgen, mit den Gedanken noch halb im Schlaf, richte ich mich auf Gott aus und stelle Kontakt zu ihm her, wenn ich sage „Herr…“ Und dann: „... öffne meine Lippen.“ Dahinter steht für mich die Grundbitte für den Tag: „öffne mich“. Öffne mich, damit Gutes aus mir herauskommt. Dass ich ehrlich zu anderen bin. Dass ich sorgsam meine Worte wähle, um andere nicht zu verletzen. Und dass ich merke, wenn es besser ist, auch mal nichts zu sagen, sondern einfach nur zuzuhören.

Im Evangelium, das heute in katholischen Gottesdiensten zu hören ist, sagt Jesus: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ (Mk 7, 20) Denn die bösen Gedanken kommen von innen – aus dem Herzen der Menschen.
Auf den ersten Blick passt das nicht zu dem Menschenbild, das ich sonst mit Jesus verbinde. Hat nicht Gott von Anfang an das Gute in mich hineingelegt? Und jetzt soll mein Herz voll mit bösen Gedanken sein, voll von Neid, Bosheit und Hochmut?

Ich denke, Jesus hat hier einen sehr realistischen Blick auf uns Menschen. Er weiß, dass wir beides in uns haben. Das Gute und das Böse. Und deshalb liegt es an mir, wie ich mich immer wieder entscheide: bin ich bereit, mich um das Gute zu bemühen? Um das, was dem Leben dient? Oder kreise ich allein um mich und sorge mich ohne Rücksicht auf Verluste nur um das, was mir allein nutzt?

Und noch etwas wird mir klar, wenn Jesus sagt, dass die bösen Gedanken von innen kommen. Wie schnell passiert es, dass Menschen für alles Mögliche Ausreden suchen: die oder jener haben mich angestiftet, die Medien sind schuld oder die Politik. Diese Ausreden sind für mich das, was Jesus mit „von außen“ meint. Mit dem „von innen“ weist er uns darauf hin, dass wir selbst für unsere Taten verantwortlich sind.

Wenn ich den Tag mit den Worten „Herr, öffne meine Lippen“ beginne, dann heißt das übersetzt für mich: Gott, auf dich möchte ich heute ausgerichtet sein. Du bist es, der auf mein Herz sieht und weiß, was alles in mir ist. Du kennst das Gute, das Liebenswerte und das Potenzial, das in mir steckt. Aber du weißt auch, mit was ich mich schwer tue. Wie oft ich egoistisch bin oder neidisch auf das Leben anderer schaue. Hilf mir, dass das Gute heute die Oberhand gewinnt. Und dann erst öffne meine Lippen.

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